Modernes Unterhaltsrecht sieht anders aus

Barbara Marti /  Frauen sollen nach der Scheidung finanziell selber für sich sorgen. Was modern klingt, ist es nur teilweise.

Nach einer Scheidung soll grundsätzlich jeder und jede finanziell für sich selber sorgen. Dies hat das Bundesgericht im Rahmen einer Vereinheitlichung bei der Berechnung von Unterhaltszahlungen festgelegt.

Erwerbsarbeit ist «zumutbar»
Gerichte müssen wie bisher den Einzelfall prüfen, doch «neu ist stets von der Zumutbarkeit einer Erwerbsarbeit auszugehen». Expertinnen raten Frauen seit langem, nicht aus der Erwerbsarbeit auszusteigen, wenn sie Mutter werden. Trotzdem ist die neue Praxis des Bundesgerichtes vor allem ein Sieg der Männer-Lobby: Personen, die Kinder betreuen, verlieren Unterhaltsansprüche. In der Realität sind das immer noch meistens die Mütter. Die Väter werden finanziell entlastet, ohne dass man von ihnen eine Gegenleistung verlangt.

Männer-Lobby freut sich
Kein Wunder freut sich Markus Theunert von männer.ch, dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Das Bundesgericht nehme den gesellschaftlichen Trend auf, dass beide Elternteile erwerbstätig bleiben. Das sei im Interesse von Männern und Frauen und könne nach einer Scheidung den häufigen Streit um Unterhaltszahlungen verhindern, sagte er gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Sender SRF.

Modernes Elternbild widerspricht Realität
Das moderne Elternbild von Markus Theunert und des Bundesgerichtes steht jedoch im Widerspruch zur Realität. Zähe Rollenbilder, Politik und Recht erschweren es ihnen nach wie vor, Familie und Erwerbsarbeit zu vereinbaren. Die Folge ist, dass Eltern von Kindern bis 12 Jahren nach wie vor mehrheitlich traditionelle Rollenmuster leben: Die Väter sind Vollzeit erwerbstätig und die Mütter Teilzeit. Knackpunkt ist die unbezahlte Arbeit, die nach wie vor grösstenteils an den Frauen hängen bleibt. Wenn externe Betreuungsmöglichkeiten fehlen und Väter nicht Teilzeit erwerbstätig sein können oder wollen, schmälert dies die Erwerbsmöglichkeiten und die Löhne von Frauen, mit Auswirkungen bis ins Rentenalter.

Auch Betreuung ist zumutbar
Die neue Praxis bei der Berechnung des Geldunterhaltes wird dazu führen, dass hauptsächlich Frauen finanzielle Ansprüche verlieren, ohne dass sie von unbezahlter Arbeit entlastet werden. Wirklich modern wäre es deshalb gewesen, wenn das Höchstgericht die Gerichte bei der Prüfung des Einzelfalls verpflichtet hätte, davon auszugehen, dass auch ein bestimmter Teil der Kinderbetreuung zumutbar ist. Laut Juristinnen ist der rechtliche Spielraum dafür vorhanden. Väter müssten nach einer Scheidung ihr Erwerbspensum allenfalls zugunsten der Kinderbetreuung reduzieren. Der finanzielle Spielraum ist jetzt da, weil sie weniger Unterhalt zahlen müssen. Väter wären keine «Zahlväter» mehr, wie viele beklagen. Und Müttern würde eine solche Betreuungspflicht es ermöglichen, nach einer Trennung mindestens im bisherigen Rahmen erwerbstätig zu bleiben, was im Sinn der neuen Praxis des Bundesgerichtes wäre.


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