wiss2

Twitter-Eintrag unter dem Hashtag #WhyIStayed. © WIS

Opfer häuslicher Gewalt erklären sich im Netz

fs /  Auf Twitter beschreiben Opfer häuslicher Gewalt, warum sie bei ihren Peinigern blieben. Sie suchen die Schuld bei sich selbst oder hoffen auf Besserung.

Unmittelbarer Anlass ist der Fall des US-Footballstars Ray Rice. Er hatte seine Partnerin Janay Palmer bewusstlos geschlagen. Sie blieb trotzdem bei ihm und heiratete ihn. Ein kürzlich aufgetauchtes Video zeigt die Brutalität des Übergriffs. Es löste die Twitter-Debatte aus. Unter den Hashtags #WhyIStayed (Warum ich blieb) und #WhyILeft (Warum ich ging) erklärten rasch über 100’000 Opfer aus dem englischsprachigen Raum ihr Verhalten.

Opfer nehmen Missbrauch nicht wahr
Ein geringes Selbstbewusstsein, gemeinsame Kinder, finanzielle Probleme oder Selbstmorddrohungen sind einige der Gründe, welche die Frauen für ihr Bleiben bei ihren Peinigern angeben. Viele gestehen, dass sie den Missbrauch nicht als solchen wahrgenommen haben. «Ich hatte keine Ahnung von häuslicher Gewalt», schrieb eine junge Frau. «Ich dachte, es sei nur eine Frage von klug/stark/liebevoll genug sein, um ihm zu helfen, auf Gewalt zu verzichten.» Einige erklärten ihr Bleiben mit Mitleid mit dem Peiniger. Andere redeten sich ein, es sei ein einmaliger Vorfall, weil der geliebte Mann, «doch nicht mein Peiniger sein konnte».
Psychische Gewalt
Viele Opfer sprechen von psychischer Gewalt. Dadurch entstehe die Überzeugung, man habe die Übergriffe «verdient»und sei «selbst schuld». Eine Frau schrieb, dass sie nach jahrelanger körperlicher und psychischer Gewalt nicht mehr geglaubt habe, glücklich sein zu dürfen. Eine andere: «Er sagte, dass mich niemand lieben würde, und ich habe ihm geglaubt.» Mehrere schrieben, dass der Partner sie nie geschlagen, aber seelisch gedemütigt habe. «Ich wünschte mir, dass er mich schlägt, damit man mir glauben würde, dass ich missbraucht werde.»
Auch Männer betroffen
Auch einige Männer gestehen auf Twitter, Gewalt in der Beziehung erlitten zu haben. «Ich war in einer gewalttätigen Beziehung gefangen, weil Männer alles ertragen können sollen.» Ein anderer schrieb, er habe nicht gewollt, dass die gemeinsamen Kinder nur bei einem Elternteil aufwachsen.
Hohe Hemmschwelle
Die Hemmschwelle, über häusliche Gewalt zu sprechen, sei immer noch hoch, sagt Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, die kürzlich eine Fachtagung zum Thema durchführte. Die Frage nach häuslicher Gewalt sollte für Ärztinnen und Ärzte zur Normalität werden. Patientinnen sollten genügend Zeit erhalten, um diese Frage zu beantworten.
Laut einer Studie vom März dieses Jahres haben EU-weit 22 Prozent der Frauen körperliche Gewalt in der Partnerschaft erlebt. Besonders gefährdet sind Frauen von 18 bis 29 Jahren. 43 Prozent aller Frauen berichteten von psychischer Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Für die Studie waren über 42’000 repräsentativ ausgewählte Frauen in den 28 EU-Mitgliedstaaten befragt worden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

IBAN: CH 0309000000604575581