Ärzte wollen wieder mehr Hormone verschreiben
Für gesunde Frauen unter 60 Jahren überwiegt der Nutzen einer «Hormonersatztherapie» (HRT) meistens die Risiken. Zu dieser neuen Beurteilung kommt die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Sie hat ihre Empfehlungen zur «Hormonersatztherapie» gegen Beschwerden in den Wechseljahren entsprechend revidiert, berichtet die «Süddeutsche Zeitung». Die DGGG und ihre Mitglieder profitieren von diversen geldwerten Leistungen der Hormonpillen-Hersteller.
So wenig wie möglich und nur für kurze Zeit
Bisher empfahl die Fachgesellschaft, Hormone nur bei schweren Beschwerden und nur für kurze Zeit zu verschreiben. Nun heisst es in einer Pressemitteilung der DGGG: «Hormontherapie geht doch». Die Hormonbehandlung von Beschwerden wie Hitzewallungen und Schlafstörungen berge weniger Risiken als lange Zeit angenommen. Ärzte sollen deshalb Frauen unter 60 Jahren, die «nicht mit speziellen Risikofaktoren oder Vorerkrankungen belastet» sind, auch bei leichten Beschwerden Hormone verschreiben. Die Empfehlung, Hormone so kurz wie möglich und in geringer Dosierung zu verabreichen, bleibt bestehen.
Studienergebnisse neu beurteilen
Hormone galten lange als Jungbrunnen nach der Menopause. Millionen Frauen schluckten sie auch in Deutschland. Die Pillen sollten die Knochen härten, die Haut straffen und das Herz schützen. Vor schweren Nebenwirkungen warnte im Jahr 2002 eine von der Pharmaindustrie unabhängige Studie der US-National Institutes of Health, an der 16’000 Frauen teilgenommen hatten. Danach schützen Hormone bei lebenslanger Einnahme zwar die Knochen, führen aber zu Thrombosen und Embolien und erhöhen das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle und Brustkrebs. Weltweit empfehlen Fachgesellschaften seither, Hormone nur bei schweren Beschwerden und möglichst kurz zu verschreiben.
Die Ergebnisse der US-Studie müssten heute neu beurteilt werden, sagte der Endokrinologe Alfred Mück von der Universität Tübingen gegenüber der «Süddeutschen Zeitung». Die Frauen der US-Studie seien im Durchschnitt bereits 65 Jahre alt gewesen. Bei den rund 9000 unter 60-jährigen Teilnehmerinnen habe sich gezeigt, dass Hormone, wenn man sie gleich zu Beginn der Wechseljahre nehme, Herzinfarkten vorbeugen, statt deren Wahrscheinlichkeit erhöhen.
Manche Experten raten weiter zur Vorsicht
Als besonders problematisch wegen des Brustkrebs- und Thrombose-Risikos gelten die Gestagene, die in den meisten Hormonpillen enthalten sind. In der US-Studie seien diese Gestagene «extrem hoch» dosiert gewesen, sagt Mück. Heute könnten die Nebenwirkungen durch mildere Varianten dieser Hormone und andere Verabreichungsformen gemindert werden. Trotzdem würde Mück, der die neuen Empfehlungen der DGGG mitverfasst hat, eine «Hormonersatztherapie» denjenigen Frauen nicht verschreiben, die schon einmal Brustkrebs hatten, ein erhöhtes Risiko für Embolien oder Herzprobleme haben.
Mit Zusatznutzen wie dem Schutz vor einem Herzinfarkt hatte man Frauen vor 2002 die «Hormonersatztherapie» verkauft. Solche Prophylaxe-Versprechen wurden durch die US-Studie zwar widerlegt, scheinen nun aber wieder aufzutauchen. So sagte Mück gegenüber der «Süddeutschen Zeitung», dass die «Hormonersatztherapie» einen günstigen Einfluss auf das Darmkrebsrisiko haben soll. «Schon nach wenigen Jahren sinkt das Risiko um etwa einen Drittel.» Es gebe keinen Grund, Hormonpillen als Prophylaxe einzunehmen, sagt hingegen Ingrid Mühlhauser, Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Hamburg. Es sei fraglich, ob der Schutz vor Darmkrebs ein realer und nicht nur ein statistischer Effekt sei. Mühlhauser hat grundsätzliche Zweifel an den neuen Empfehlungen der Fachgesellschaft: «Ich sehe keine Notwendigkeit für eine Neubewertung der Hormonersatztherapie».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine