Bildschirmfoto 2023-06-22 um 14.08.08

Die Aufteilung in erklärbare und unerklärbare Gründe verschleiert strukturelle Gründe für den Lohnunterschied. © bmfsfj

Lohndifferenz: «Erklärbar» heisst nicht «in Ordnung»

fs /  In der Schweiz behauptet der Arbeitgeberverband, dass Frauen nicht diskriminiert werden. Er nutzt ein bewährtes Ablenkungsmanöver.

In der Schweiz verdienen Frauen durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer. Das Bundesamt für Statistik unterscheidet zwischen dem «erklärten» Anteil des Lohnunterschiedes und dem «unerklärten». Letzterer liege bei fast 9 Prozent. Der Schweizerische Arbeitgeberverband behauptet aufgrund einer Auftragsstudie der Hochschule St. Gallen, diese Differenz sei kleiner. Damit gebe es keine Diskriminierung der Frauen. 

Kontroverse lenkt ab
Diese Kontroverse um ein paar Prozentpunkte ist nicht neu. Sie lenkt davon ab, dass die Aufteilung in «unerklärt» und «erklärt» die strukturellen Gründe für die Lohndifferenz verschleiert. Diese gelten als erklärbar und damit akzeptabel. Wenn Frauen Teilzeit arbeiten wollen, nehmen sie halt in Kauf, dass sie weniger verdienen und geringere Aufstiegschancen haben. Wenn sie lieber in Frauenbranchen arbeiten möchten, ist der Lohn geringer als in Männerbranchen.

Unbezahlte Arbeit
Aus dem Blick gerät damit vor allem die unbezahlte Arbeit, die nach wie vor überwiegend Frauen erledigen. Sie gilt als ein wichtiger Grund dafür, dass Frauen häufiger Teilzeit arbeiten, für kürzere Arbeitswege auf höhere Löhne und Karrierechancen verzichten, weniger Berufserfahrung haben und seltener Weiterbildungen machen können. Ein vergleichsweise bescheidener Vater- und Mutterschaftsurlaub und fehlende Kinderbetreuungsplätze sorgen dafür, dass vor allem Frauen Erwerbspausen einlegen. Babylücken im Lebenslauf senken die Dienstjahre und damit den Lohn, was finanzielle Folgen bis ins Rentenalter hat.

Ausgenutzt versus selbst gewählt
Frauen arbeiten zudem öfter als Männer in Tieflohnbranchen, stellte kürzlich der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) in einer Analyse fest. Er führt dies darauf zurück, dass die Arbeitgeber die Betreuungspflichten von Frauen ausnutzen, um die Löhne zu drücken. Das heisst: Arbeitgeber wissen, dass Frauen auf gut erreichbare Teilzeitjobs in der Nähe ihres Wohnortes angewiesen sind. Wenn Löhne nicht ihren Qualifikationen oder ihrer Position entsprechen, wechseln sie nicht so rasch den Job. Das erklärt laut dem SGB unter anderem auch, weshalb der Lohnanstieg in Frauenbranchen tiefer ist als in anderen Branchen. Ein weiterer Grund für die schlechtere Bezahlung sei die Geringschätzung der «Frauenberufe».
Die Arbeitgeber schieben die Schuld auf die Frauen, die bei der Berufswahl zu wenig auf den Lohn und die beruflichen Perspektiven achten würden. Angesichts des Fachkräftemangels könnten es sich Arbeitgeber gar nicht leisten, die Hälfte der Erwerbspersonen mit zu tiefen Löhnen abzuschrecken.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

IBAN: CH 0309000000604575581