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Schweigevereinbarungen sorgen dafür, dass die Lohnkluft zwischen Frauen und Männern nicht kleiner wird. © bmfsfj

«Schweigekartell» schützt Lohndiskriminierung

fs /  Lohnklagen enden oft mit individuellen Vereinbarungen, die vertraulich bleiben. Eine Betroffene kritisiert, dass dies die Lohngleichheit verzögere.

In Deutschland hat das Bundesarbeitsgericht kürzlich in einem seltenen Urteil eine Klage auf Lohngleichheit gutgeheissen. Geklagt hatte eine Frau, die bei gleicher Qualifikation und gleicher Arbeit weniger verdiente als ihr Kollege. Sie erhält nun 14‘500 Euro Lohnnachzahlung und 2000 Euro Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Das Argument des Arbeitgebers, der Mann habe besser verhandelt, liess das Gericht nicht gelten. Andere Betroffene können sich nun auf dieses Urteil berufen.

«Auf Fortschritte warten wir seit Jahren vergeblich»
Das Grundsatzurteil ist wichtig, um die Lohngleichheit voranzubringen, sagte Susette Jörk, Anwältin der Klägerin: «Auf Fortschritte durch den Gesetzgeber oder Arbeitgeber*innen warten wir leider seit Jahren vergeblich. Der heutige Durchbruch ist einmal mehr der Ausdauer einer mutigen Frau zu verdanken, die den Rechtsweg nicht gescheut hat.» Viele können oder wollen diesen Weg nicht gehen, weil es dafür finanzielle und emotionale Ressourcen braucht. Sie akzeptieren deshalb individuell ausgehandelte Abfindungszahlungen und Entschädigungen. Ihre Fälle kommen nie vor Gericht. Es gibt also keine Gerichtsentscheide, auf die sich andere berufen können.

Schweigen als Bedingung für Abfindungszahlung
Hinzu kommt: Die Arbeitgeber verpflichten in den individuellen Vereinbarungen Frauen oft, sich nicht zu ihrem Fall zu äussern, wie das Beispiel von Birte Meier zeigt. Die Journalistin hatte etliche Jahre als Redaktorin für die ZDF-Sendung «Frontal21» gearbeitet. Dann fand sie heraus, dass das ZDF sie schlechter bezahlte als vergleichbare männliche Kollegen. Es begann eine jahrelange arbeitsrechtliche Auseinandersetzung, in deren Verlauf das ZDF ihr eine Vergleichsvereinbarung vorschlug. In einem Gastbeitrag für den «Spiegel» schrieb Meier kürzlich, was darin stand. 

Das ZDF bot ihr eine Abfindung von 110’000 Euro plus vier Monate Freistellung an. Bedingung war, dass Meier den Sender verlässt und sich öffentlich nicht über ihren Fall äussert. In der vorgeschlagenen Vergleichsvereinbarung hiess es laut Meier unter anderem: «Insbesondere verpflichtet sich die Redakteurin, ihre Behauptung, sie habe eine niedrigere Vergütung als männliche Redakteure erhalten, weil sie eine Frau sei, wörtlich oder sinngemäss nicht zu wiederholen.» Falls sie gegen die Schweigepflicht verstösst, sollte Meier dem ZDF mindestens 5000 Euro plus Schadenersatzansprüche zahlen. Weiter hiess es in der vorgeschlagenen Vergleichsvereinbarung: «Dritten gegenüber werden die Parteien ausschliesslich mitteilen, dass sie sich unter wechselseitiger Beibehaltung ihrer Rechtsstandpunkte auf eine einvernehmliche Beendigung des Vertragsverhältnisses gegen Zahlung einer in ihrer Höhe nicht mitzuteilenden Abfindung verständigt haben.» 

Schweigen lässt Politik untätig bleiben
Schadensersatz für die Diskriminierung sollte diese Zahlung nicht sein, sondern eine Abfindung für die Aufgabe des Jobs, stellte Meier im «Spiegel» klar: «Die Gebührenzahler:innen sollen also noch nicht einmal erfahren dürfen, was es sie gekostet hätte, dass ich mich knebeln lasse und endlich Ruhe gebe.» Solche Vergleichsvereinbarungen hätten zu einem «Schweigekartell» um die Lohndiskriminierung geführt. «Ein schwarzes Loch, in dem all die Geschichten der Frauen verschwinden, die nicht mehr angehört werden können.» 
Das Schweigen der Frauen führe dazu, dass die Politik zu wenig gegen Lohndiskriminierung unternimmt. Man schiebe die Schuld für Lohndiskriminierung vielmehr den Frauen zu, die angeblich schlecht verhandeln und einen Hang zu schlechter bezahlten Berufen haben. Meier verlangt einen Kulturwandel. «Wir müssen anerkennen, dass viele einfach schlechter bezahlt werden, weil sie Frauen sind. Und dass es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dagegen vorzugehen.» 

Laut Meier verbieten in den USA einige Bundesstaaten Schweigeklauseln bei Vergleichen in Diskriminierungsverfahren. «Wer reden will, soll reden dürfen», sagt sie.

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Birte Meier, Equal Pay Now! Endlich gleiches Gehalt für Frauen und Männer, Goldmann Verlag 2023, ISBN 978-3-442-17984-8, Preis: CHF 19.90 / EUR 16.–

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