Das Geschwätz von der «Krise der Männlichkeit»
Zuletzt klagte die «NZZ am Sonntag» über die Krise junger Männer: «In der Schule sind sie längst abgehängt, auf dem Dating-Markt werden sie oft übergangen, sie fühlen sich an den Rand gedrängt.» Der kanadische Politologe Francis Dupuis-Déri sagt, die Rede von einer «Krise der Männlichkeit» sei historisch betrachtet eine alte, immer wiederkehrende Klage. Sie diene dazu, traditionelle Geschlechterrollen und patriarchale Strukturen zu festigen sowie feministische Bewegungen zu diskreditieren. Dieser zeitlose Antifeminismus soll die Freiheit und Gleichberechtigung von Frauen begrenzen – unabhängig von Zeit, Ort, Gesellschaftssystem und Religion.
Gleichberechtigung verhindern
Dupuis-Déri lehrt an der «Université du Québec» in Montreal und ist Autor mehrerer Bücher über Maskulinismus und Antifeminismus. Er beschreibt Männlichkeit als ein kulturelles und ideologisches Konstrukt, das dazu dient, Weiblichkeit als zweitrangig darzustellen. Die Klage von der «Krise der Männlichkeit» vermittle von Generation zu Generation die gleichen Unwahrheiten, sagte der Politologe in einem Interview mit der Online-Zeitung «Voxeurop». Seit der römischen Antike heisse es regelmässig, dass Männer angeblich benachteiligt seien, weil Frauen zu viel Platz einnehmen. Zweck dieser Behauptung sei es, Frauen weiter zu diskriminieren: «Der Diskurs über die Krise der Männlichkeit hat immer den Effekt, eine starke Unterscheidung zwischen männlich und weiblich zu rechtfertigen und die konventionelle Männlichkeit aufzuwerten, während der Wunsch oder Wille der Frauen, frei und den Männern gleichgestellt zu sein, diskreditiert wird.»
Opfer-Behauptungen
Klagen über Männer als «Opfer» der Frauen gab es in der neueren Zeit von der Französischen Revolution über die Black-Power-Bewegung der 1960er Jahre bis in die Gegenwart. Heute dominieren laut Dupuis-Déri Behauptungen wie diese: «Frauen nehmen Männern Arbeitsplätze weg», «Frauen vernachlässigen ihre ‘natürliche’ Rolle als Hausfrau und Mutter», «Frauen dominieren Männer in der Ehe und zocken sie bei einer Scheidung ab», «Männer dürfen nicht mehr flirten», «Jungen haben wegen zu vieler Lehrerinnen Probleme in der Schule».
Widerspruch zur Realität
Mit solchen Opfer-Behauptungen rechtfertigen Maskulinisten traditionelle Geschlechterrollen und eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Maskulinist ist eine Selbstbezeichnung von Männern, die sich als Gegner der Feministinnen verstehen. Ihre Opfer-Behauptungen suggerieren, dass der heutige Feminismus zu weit geht und der Gesellschaft einen «Totalitarismus» aufzwingt. Maskulinisten klagen, dass Männer nichts mehr sagen dürfen, ohne Opfer eines männerfeindlichen Sexismus zu werden. Auch diese Behauptung widerspreche der Realität, so Dupuis-Déri. «Feminismus ist eine der friedlichsten sozialen Bewegungen, die sogar sehr moderat ist, wenn man die historischen und aktuellen Ungerechtigkeiten und Gewalttaten betrachtet, denen Frauen ausgesetzt sind.»