Polizei und Justiz müssen Frauen besser vor häuslicher Gewalt schützen. © cc

Staat bei häuslicher Gewalt haftbar

fs /  Wenn die Polizei eine Frau vor häuslicher Gewalt nicht schützt, kann sie vom Staat Schmerzensgeld fordern. Das Urteil gilt als bahnbrechend.

In Österreich hat eine Frau den Mordversuch ihres Ex-Partners nur knapp überlebt. Er hatte sie zwei Wochen zuvor bereits attackiert. Trotzdem erliess die Polizei damals kein Betretungs- und Annäherungsverbot gegen den Täter und informierte die Staatsanwaltschaft nicht. Die Frau forderte deshalb Schmerzensgeld und Schadenersatz vom Staat und scheiterte damit in unteren Gerichtsinstanzen. Doch kürzlich hat das Höchstgericht entschieden, dass sie den Staat haftbar machen kann und dafür ein «Anscheinsbeweis» reicht.

Geschlagen, bedroht, schwer verletzt
Die Frau wurde von ihrem Ex-Freund geschlagen und bedroht. Anfang 2020 schritt die Polizei ein. Die Frau zeigte den Mann an wegen fortgesetzter Gewaltausübung und Körperverletzung. Doch die Polizei verfügte kein Betretungs- und Annäherungsverbot und informierte die Staatsanwaltschaft nicht. Zwei Wochen später stach der Mann auf die Frau ein. Sie wurde schwer verletzt. Der Ex-Partner wurde wegen versuchten Mordes zu zwölf Jahren Haft und 166’500 Euro Schadenersatz verurteilt.

Frau fordert Schmerzensgeld vom Staat
Die Frau wirft der Polizei vor, dass sie kein Betretungs- und Annäherungsverbot gegen den Mann verhängte. Ein solches hätte den Mordversuch verhindert. Sie fordert deshalb von der Republik Österreich 95’000 Euro Schmerzensgeld und die Haftung für Spätschaden der Tat.
Das Landesgericht und das Oberlandesgericht Wien wiesen die finanziellen Forderungen der Frau an den Staat ab. Es gebe keinen Beweis, dass ein Betretungs- und Annäherungsverbot die Tat verhindert hätte. Der Mann hätte den Mordversuch auch bei einem solchen Verbot begehen können.

Beweiserleichterung
Anderer Ansicht ist der Oberste Gerichtshof (OGH): Er stellte in seinem Urteil klar, dass der Staat eine Mitverantwortung trägt. Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbot seien vorgelegen und die Polizei habe deshalb ihre Pflicht verletzt. Zu prüfen sei, ob ein solches Verbot die Tat verhindert hätte oder nicht. Es reiche dafür ein «Anscheinsbeweis». Der erste Anschein spreche dafür, dass sich der Ex-Partner an ein Betretungs- und Annäherungsverbot gehalten hätte. Ein solches werde behördlich kontrolliert und bei Missachtung sanktioniert. Es hätte die Frau schützen können. Sie könne deshalb Haftungsansprüche gegenüber dem Staat geltend machen.

Präzedenzfall
Der Fall geht nun zurück an die Vorinstanzen. Diese müssen noch einmal die Beweise aufnehmen. Mit guten Erfolgsaussichten für die Frau, wie der «Standard» schreibt. Nun müsse nämlich der Staat beweisen, dass der Mann seine Ex-Freundin auch angegriffen hätte, wenn die Polizei ein Betretungs- und Annäherungsverbot verhängt hätte. Sonja Aziz, Rechtsanwältin der Frau, bezeichnete das Urteil gegenüber dem «Standard» als «bahnbrechend». Ihrer Klientin sei es nicht nur um ihren eigenen Schaden gegangen, sondern auch darum, einen Präzedenzfall zu schaffen. Das Urteil des Höchstgerichtes werde dafür sorgen, dass Justiz und Polizei bei häuslicher Gewalt Frauen künftig besser schützen. «Der OGH hat ganz klar ausgesprochen, dass Frauen Schadenersatz bekommen können, wenn die Polizei schuldhaft kein Betretungs- und Annäherungsverbot ausspricht.»

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