Bildschirmfoto 2023-06-13 um 18.52.12

Vergewaltiger kommen oft mit bedingten Haftstrafen davon. © dbb

Verurteilte Vergewaltiger müssen nicht ins Gefängnis

fs /  Schweizer Gerichte bagatellisieren Vergewaltigungen. Damit signalisieren sie Frauen, dass sich eine Anzeige kaum lohnt.

Das Bezirksgericht Zürich hat einen nordmazedonischen Staatsangehörigen in erster Instanz für schuldig befunden, ein finnisches Au-pair vergewaltigt zu haben. Es verurteilte den Täter zu einer bedingten Haftstrafe von 22 Monaten. Zusätzlich muss er dem Opfer 15’000 Franken Genugtuung zahlen. Die Staatsanwaltschaft hatte eine unbedingte Haftstrafe von 44 Monaten gefordert. 

Milde für den Täter
Die Maximalstrafe für Vergewaltigung ist zehn Jahre Haft. Das milde Urteil begründete das Bezirksgericht laut der «Neuen Zürcher Zeitung» damit, dass der Täter «keine übermässige Gewalt angewendet» habe. Die Tat sei nicht geplant gewesen und habe nicht lange gedauert. Der Täter muss deshalb nicht ins Gefängnis. Er wird auch nicht des Landes verwiesen, weil er für zwei von drei Richter als persönlicher «Härtefall» gilt. Der nordmazedonische Staatsangehörige sei in der Schweiz zur Welt gekommen und gut integriert. Der dritte Richter war anderer Meinung. Das öffentliche Sicherheitsbedürfnis sei wichtiger als die Integration des Täters in der Schweiz. 

Jeder Dritte muss nicht ins Gefängnis
In der Schweiz muss jeder dritte verurteilte Vergewaltiger nicht ins Gefängnis. Was das für die Opfer heisst, schilderte die Freiburger Sängerin Julie Hugo im «Blick». Ende 2021 hatte ein Nachbar sie in ihrer Wohnung vergewaltigt und schwer misshandelt. Trotzdem verurteilte das Bezirksgericht Saane den Täter in diesem Frühjahr bloss zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und der Zahlung eines Schmerzensgeldes von 10’000 Franken. Die Staatsanwaltschaft hatte eine unbedingte Haftstrafe von sechs Monaten gefordert. Die milde Strafe für Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und einfache Körperverletzung begründete der Richter mit fehlenden Vorstrafen und dem guten Verhalten des Täters während des Verfahrens. Hugo fühlt sich nun auch als Opfer von offizieller Seite: «Es ist, als ob ich ein zweites Mal vergewaltigt worden sei – und zwar von der Justiz.» Deren Botschaft sei beunruhigend: «Du kannst jemanden vergewaltigen und verprügeln, ohne dass es schwerwiegende Konsequenzen für dein Leben hat.»

Mehr Vergewaltigungen, weniger Verurteilte
Laut dem Bundesamt für Statistik steigt die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen seit 2015 jährlich an. Im Jahr 2022 waren es 804 Anzeigen. Die Zahl der Verurteilungen wegen Vergewaltigung hingegen sinkt. Im Jahr 2020 waren es 113, im Folgejahr 77 Verurteilungen. Laut Schätzungen erstatten in der Schweiz weniger als 10 Prozent der Vergewaltigungsopfer Anzeige. Und von diesen geben viele während des Verfahrens auf. Kein Wunder: Das Verfahren dauert lange, ist belastend und mit hohen Kosten für die rechtliche Vertretung verbunden. Milde Urteile wie im Fall des finnischen Au-Pairs und von Julie Hugo wirken zusätzlich abschreckend.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

IBAN: CH 0309000000604575581