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Marie Laguerre: Eine Überwachungskamera dokumentierte die Attacke auf die 22-Jährige (am Bildrand). © France24

«Angriffe auf junge Frauen sind heute Alltag»

fs /  In der Schweiz ist Gewalt an jungen Frauen im öffentlichen Raum deutlich häufiger als vor 20 Jahren. Über die Gründe rätseln Fachleute.

Im August schlug eine Gruppe Männer fünf junge Frauen brutal zusammen, nachdem diese ein Nachtlokal verlassen hatten. Die Frauen wurden teilweise schwer verletzt. Eine lag mehrere Tage im Koma. Die Tat hat die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Es kam auch in anderen Städten zu Demonstrationen gegen Gewalt an Frauen.

Starke Zunahme der Attacken
Die «SonntagsZeitung» hat nach der Attacke die schweizerische Unfallstatistik analysiert und festgestellt, dass sich die Gewalt an Frauen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren im öffentlichen Raum in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdreifacht hat: 1995 wurden 200 Fälle gemeldet, 2016 waren es 640. Das sind 12 Fälle pro Woche. Die Zahl der von der Unfallversicherung statistisch erfassten jungen Frauen blieb in den zwanzig Jahren stabil.

Trendwende bei jungen Männern
Die Unfallstatistik erfasst in der Schweiz wohnhafte Personen, die als Arbeitnehmende oder Erwerbslose gesetzlich gegen Unfälle versichert sind. Das sind rund 4,5 Millionen Personen. In diese Statistik kommen alle Unfälle mit Verletzungsfolge, die behandelt und deshalb bei der Versicherung gemeldet werden. Dabei wird auch die Ursache des Unfalls erfasst. Nach wie vor betrifft Gewalt im öffentlichen Raum viel häufiger Männer. Doch bei den jungen Männern zwischen 15 und 24 Jahren hat 2009 eine Trendwende eingesetzt. Seither sinkt ihr Risiko, bei einer solchen Gewalttat verletzt zu werden.

Keine Trendwende bei jungen Frauen
Fachleute rätseln, weshalb es bei den Frauen keine Trendwende gab. Es könne sein, dass junge Frauen heute öfter attackiert werden, wenn sie nachts unterwegs sind, sagte der Kriminologe Martin Killias der «Sonntagszeitung». Möglich sei auch, dass Männer seltener am Nachtleben teilnehmen und es bei Frauen keinen solchen Rückzug gab. Laut der renommierten Konflikt-Therapeutin Sefika Garibovic werden Männer vor allem in Gruppen gewalttätig, weil sie ein «Nein» von Frauen nicht akzeptieren wollen. Angriffe auf junge Frauen in der Öffentlichkeit seien heute Alltag, sagte sie der «SonntagsZeitung»: «Fast täglich habe ich junge Männer bei mir, die erzogen wurden, Frauen als Objekte zu betrachten.»

«Freiheit der Frauen steht auf dem Spiel»
In Frankreich hat diesen Sommer das Video einer Überwachungskamera für Aufsehen gesorgt. Es zeigt, wie Marie Laguerre in Paris auf offener Strasse von einem

Dieses Video einer Überwachungskamera zeigt, wie Marie Laguerre von einem Passanten verfolgt und dann geschlagen wird. (ML)
Passanten attackiert wird. Nach Angaben der 22-Jährigen hatte sie zuvor auf die «anzüglichen Bemerkungen» des Mannes mit den Worten «Halt’s Maul!» reagiert. Gleichstellungs-Staatsekretärin Marlène Schiappa sagte, es stehe «die Freiheit der Frauen auf dem Spiel, sich unbesorgt in Paris zu bewegen». Sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum sind in Frankreich seit längerem auch auf politischer Ebene ein Thema. Kürzlich hat das Parlament beschlossen, sexistische Beleidigungen und Beschimpfungen auf der Strasse mit einem sofortigen Bussgeld von mindestens 90 Euro (100 Franken) zu bestrafen. Ähnliche Gesetze gibt es in Belgien und Portugal.


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