«Das ist ein Frauenmord»
In der Schweiz haben in den letzten Wochen zwei Frauenmorde die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Eine Frau wurde auf offener Strasse, eine andere zu Hause erschossen. Tatverdächtig sind in beiden Fällen die Ehemänner. In Deutschland ist kürzlich eine 17-Jährige ermordet worden. Tatverdächtig ist ein Asylbewerber aus Afghanistan. Und Ende letzten Jahres hat mutmasslich ein afghanischer Flüchtling seine 15-jährige Ex-Freundin in einem Drogeriemarkt erstochen.
«Beziehungstat»
In allen Fällen war schnell von «Beziehungstat», «Eifersuchtsdrama» oder «Familientragödie» die Rede. Morde an Frauen werden damit individualisiert und dem Opfer eine Mitverantwortung an der Tat zugeschoben. Diese wird als tragischer Einzelfall bezeichnet, der nichts mit strukturellen Machtverhältnissen zu tun hat. Das Wort «Mord» taucht auch in den Medien kaum auf. «Hinter dieser Sprache verschwindet die Tatsache, dass die Frau umgebracht wurde, weil sie eine Frau ist», sagt Marlene Pardeller, Gründerin der Initiative #keinemehr.
«Stockpatriarchalisches Muster»
Die Muster hinter «Beziehungstaten» und «Familientragödien» sind überall ähnlich, sagt Sozialwissenschaftlerin Monika Schröttle von der Technischen Universität Dortmund in der «Tageszeitung»: «Wenn wir uns die Motive ansehen, finden wir immer die klassischen Muster: Frau will Mann verlassen oder hat ihn schon verlassen und wird dann getötet. Es ist ein stockpatriarchalisches Muster, das dahintersteht.»
«Frauenmord»
In der Türkei gründeten Aktivistinnen nach dem brutalen Mord an einer 17-Jährigen im Jahr 2010 die Plattform «Wir werden die Frauenmorde stoppen». Mitinitiantin Gülsüm Kav: «Das, was da passiert ist, ist ein Frauenmord». Die Aktivistinnen organisierten wöchentliche Demonstrationen, begleiteten Mordprozesse und hielten das Thema Frauenmorde so in der Öffentlichkeit. Damit sei es gelungen, ein Umdenken in Gang zu bringen, sagt Kav: «Inzwischen haben alle Medien den Begriff ‹Frauenmord› übernommen.»
Vorbild Argentinien
Auch in lateinamerikanischen Ländern begreifen Frauenorganisationen Frauenmorde als Ausdruck einer patriarchalen Gesellschaft. Als kürzlich in Brasilien die feministische Lokalpolitikerin Marielle Franco ermordet wurde, sprachen Aktivistinnen ausdrücklich von Frauenmord. Die 38-Jährige war auf dem Rückweg von einer Veranstaltung über die Rechte schwarzer Frauen mitten in Rio in ihrem Auto erschossen worden.
In Argentinien gründeten 2015 Aktivistinnen die Bewegung «Ni una menos» (nicht eine weniger). Mit Grossdemonstrationen machten sie darauf aufmerksam, dass Gewalt gegen Frauen keine Privatsache ist. Es brauche einen grundlegenden Wandel der Gesellschaft weg vom Machismus. Gewalt gegen Frauen sei Ausdruck einer ungleichen, hierarchischen und gewaltvollen Kultur, die aus Frauen Besitzgegenstände macht. Die Bewegung fand rasch Anhängerinnen in anderen lateinamerikanischen und später auch in europäischen Ländern.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine