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Anwältin Silvia Ingolfsdottir Åkermark: «Opfer müssen sich nicht mehr rechtfertigen.» © SVT

«Der Wille des Opfers zählt»

fs /  Geschlechtsverkehr, den nicht beide wollen, gilt seit einem Jahr in Schweden als Vergewaltigung. Das erste Grundsatzurteil zeigt, was sich verändert hat.

«Ja heisst Ja» lautet der neue Grundsatz im schwedischen Sexualstrafrecht. Passivität und Schweigen gelten seither nicht mehr als stilles Einverständnis. Kürzlich hat das schwedische Höchstgericht erstmals einen Mann verurteilt, der ohne Einwilligung Sex mit einer Frau hatte.

Passivität ist kein Einverständnis
Er hatte die Passivität der Frau als stillschweigendes Einverständnis gedeutet, obwohl sie zuvor klar gemacht hatte, dass sie keinen Sex wollte. Im Vergleich zum alten Sexualstrafrecht war neu: Die Frau musste nicht mehr begründen, weshalb sie sich nicht wehrte. Stattdessen stand im Zentrum der Gerichtsverhandlung die Frage, ob sie dem Sex zugestimmt hatte.

Opfer muss sein Verhalten nicht mehr rechtfertigen
Ein zentraler Unterschied, wie die schwedische Anwältin Silvia Ingolfsdottir Åkermark gegenüber dem «Tages-Anzeiger» sagte. Dank des neuen Grundsatzes der Zustimmung müsse das Opfer sein Verhalten nicht mehr rechtfertigen. Stattdessen müsse der Angeklagte erklären, weshalb er von einer Einwilligung ausgegangen ist. Dabei gelte wie bisher die Unschuldsvermutung. «Wie bei allen 4-Augen-Delikten steht am Schluss Wort gegen Wort. Es bleibt also schwierig, einem Angeklagten eine Vergewaltigung nachzuweisen.»

Im Zweifel verzichten
Das neue Sexualstrafrecht mache Opfern klar, dass ihr Wille zählt, sagt Silvia Ingolfsdottir Åkermark. Die Botschaft des neuen Gesetzes sei, Sex zu haben, den beide wollen. Niemand habe das Recht, Sex einzufordern. «Falls jemand unsicher ist, kann er fragen, ob er stoppen soll. Im Zweifelsfall soll er halt auf den Sex verzichten, auch wenn er in dem Moment sehr gern Geschlechtsverkehr hätte. Sex ist nicht etwas, was jederzeit verfügbar ist. Jeder Person als sexuell handelndes Wesen ist diese Verantwortung zuzutrauen.»
Als das neue Sexualstrafrecht vor einem Jahr in Schweden beschlossen wurde, sorgte dies über die Landesgrenzen hinaus für Kritik. Künftig sei bei jedem Stellungswechsel eine schriftliche Vereinbarung nötig, hiess es etwa. Die Erotik gehe verloren und eine Klagewelle drohe.

Den Willen ernst nehmen
In der Schweiz soll das Sexualstrafrecht revidiert werden. Kürzlich machten die Strafrechtlerinnen Anna Coninx und Nora Scheidegger Vorschläge, für ein Einwilligungsprinzip:

  • Veto: Eine Person muss Nein zum Sex sagen oder ihren Unwillen anders klar signalisieren.
  • Zustimmung: Eine Person muss verbal oder nonverbal ausdrücklich dem Sex zustimmen.

Im «Tages-Anzeiger» sagte Coninx, wenn eine Person Nein sage, müsse man das ernst nehmen. Die Schlagzeile der Boulevardzeitung «Blick» zeigt, dass dies offenbar nach wie vor keine Selbstverständlichkeit ist: «Lust nur mit Erlaubnis – Verhandeln wir bald vor jedem Sex?»
In Deutschland gilt seit 2019 der Veto-Grundsatz «Nein heisst Nein». Wenn sich jemand mit sexuellen Handlungen über den «erkennbaren Willen» des anderen hinwegsetzt, gilt dies als Vergewaltigung. Eine Person muss also explizit «Nein» sagen, wenn sie keinen Sex will.


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