Frauenhass im Internet: «Uns reicht’s!»
Vier renommierte Journalistinnen aus Österreich prangern den Frauenhass im Netz an und fordern die Politik zum Handeln auf. Unter der Schlagzeile «Uns reicht’s» berichten sie in der Wochenzeitung «Falter» über unerträgliche sexistische Beschimpfungen, Vergewaltigungs- und Morddrohungen, die sie täglich über E-Mail, Twitter, Facebook und andere Netzwerke erhalten.
Bagatellisiert und tabuisiert
Ingrid Thurnher vom öffentlich-rechtlichen TV-Sender ORF, Corinna Milborn vom Privatsender Puls 4, die freie Journalistin Barbara Kaufmann und Hanna Herbst vom Magazin «Vice» machen damit sichtbar, was bisher bagatellisiert und tabuisiert wird. Betroffene sexistischer Hasskommentare reagierten wie andere Opfer sexueller Gewalt, heisst es im «Falter». Sie würden die Attacken meist nicht thematisieren, um nicht weitere Hasstiraden auszulösen und um nicht stigmatisiert zu werden. Sie würden den Hass verdrängen, ertragen oder sich vorsichtiger äussern und Themen wie Frauenrechte meiden. Damit erreichten die Pöbler ihr Ziel. Corinna Milborn: «Wenn Frauen sich nicht mehr äussern können, ohne sexuelle Gewalt zu erfahren, müssen wir über neue Regeln sprechen.»
Sportkommentatorin im Shitstorm
In Deutschland hat Claudia Neumann Frauengeschichte geschrieben. Als erste Frau überhaupt kommentierte sie im Juni zwei Spiele der Männer-Fussball-Europameisterschaft. Doch statt Respekt für ihre Arbeit schlug ihr Frauenhass entgegen. Eine Online-Petition fordert ARD und ZDF nun auf, Neumann das Finale kommentieren zu lassen: «Die Fähigkeit ein wichtiges Fussballspiel zu kommentieren, ist keine Frage des Geschlechts, sondern eine Frage von Kompetenz.» Über 21’000 Menschen haben die Petition bisher unterzeichnet.
Wie verbreitet Attacken gegen Journalistinnen sind, zeigt eine Statistik des britischen «Guardian». Danach sind fast nur Frauen von nicht tolerierbaren Kommentaren betroffen. Unter den zehn Journalistinnen und Journalisten, deren Texte in den letzten zehn Jahren die meisten unflätigen Kommentare erhielten, sind acht Frauen.
Politik muss Grenzen setzen
In Grossbritannien forderten Politikerinnen aller Parteien nach dem Mord an Jo Cox, Frauenhass im Netz nicht mehr stillschweigend zu tolerieren, sondern endlich zu stoppen. Politikerinnen müssten damit bisher weitgehend allein fertig werden, sagten sie im «Guardian». Betroffen seien vor allem Politikerinnen, die sich wie Cox für Frauen- und Menschenrechte engagieren. Die Gesellschaft dürfe diese Form der Einschüchterung nicht länger tolerieren. Sonst werde es noch schwieriger, Frauen für den Einstieg in die Politik zu motivieren. Maria Miller, Abgeordnete der Konservativen, fordert, dass die Politik jetzt Grenzen setzt. Sie müsse definieren, welches Verhalten für die Gesellschaft absolut inakzeptabel ist und welche Verantwortung Plattformen für inakzeptable Inhalte tragen, die im Netz verbreitet werden.
«Rote Linie überschritten»
In der Schweiz hat der konservative Nationalrat Andreas Glarner (SVP) zwei Kritikerinnen seiner Asylpolitik auf Twitter sexistisch beleidigt. Wegen der vielen Reaktionen löschte er seinen Account und veröffentlichte stattdessen Fotos der beiden Frauen auf Facebook. Seinen Kommentar dazu habe er geschickt formuliert, sagte eine der Betroffenen gegenüber der Plattform «watson»: «Die Kommentatoren in den Kommentarspalten haben in Gewalt- oder Vergewaltigungsfantasien allerdings die rote Linie ziemlich offensichtlich überschritten.» Den Beitrag auf Facebook löschte Glarner schliesslich, nachdem sein Facebook-Profil vorübergehend gesperrt worden war.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine