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Corinne T. hat blaue Flecken jahrelang überschminkt. © srf

«Man gewöhnt sich an Gewalt»

fs /  Opfer häuslicher Gewalt sollen eine Anzeige gegen den Täter nicht mehr allein zurückziehen können. Eine Betroffene schildert, weshalb sie dies getan hat.

In der Schweiz hat der Nationalrat kürzlich beschlossen, dass Opfer häuslicher Gewalt nicht mehr allein bestimmen können, ob ein Strafverfahren eingestellt wird. Der Entscheid soll neu bei der Staatsanwaltschaft liegen. Diese muss den Willen des Opfers nur als einen Faktor berücksichtigen. Zurzeit werden je nach Kanton 53 bis 92 Prozent solcher Verfahren eingestellt. Oft setzen Täter Opfer unter Druck, eine Anzeige zurückzuziehen.

Noch eine Chance
Corinne T., die von ihrem Mann jahrelang geschlagen wurde, sagt, Opfer seien in einer Abhängigkeit und könnten nach den Gewalt-Erlebnissen keinen klaren Entscheid fällen. Im Dokumentarfilm «Häusliche Gewalt – Wenn aus Liebe Gewalt wird» des öffentlich-rechtlichen TV-Senders SRF versucht sie zu erklären, weshalb sie eine Anzeige gegen ihren Mann wegen Körperverletzung und Drohung zurückgezogen hat. Es sei Weihnachten gewesen,

Dokumentarfilm «Häusliche Gewalt – Wenn aus Liebe Gewalt wird» @srf

die Familie sei zusammengekommen, die Kinder hätten sich gefreut. Sie sei blau geschlagen gewesen und habe trotzdem gedacht, dass sie ihrem Mann noch einmal eine Chance geben wolle.

Zu lange gehofft
Corinne T. war nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes weiterhin erwerbstätig und teilte mit ihrem Mann die Kinderbetreuung und den Haushalt. Das brachte beide an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Es gab Gehässigkeiten und Streitereien. Corinne T. warf ihrem Mann vor zu trinken. Er wurde aggressiv, schlug, würgte und demütigte seine Frau. Mehrmals musste sie ins Spital. Der Mann bereute und gelobte Besserung. Corinne T. wollte dies glauben – bis zur nächsten Eskalation. Sie habe zu lange gehofft, dass die Schläge aufhören, sagt sie heute.

Opfer ermutigen
Der Mann kann sich kaum erklären, weshalb er gegenüber seiner Frau gewalttätig wurde. «Ein normaler Mensch macht so etwas nicht», sagt er im Film. Seine Frau habe ihn mit endlosen Diskussionen, die sich immer und immer wieder um die gleichen Dinge drehten, zermürbt. Sie habe ihn auch angegriffen und dann habe er sich halt gewehrt. Corinne T. sagt, sie habe ihren Mann einzig geschüttelt, wenn er betrunken im Bett lag. Sonst habe sie ihn nie körperlich angegriffen. Nach 12 Jahren flüchtete Corinne T. mit ihrem Sohn in ein Frauenhaus und reichte die Scheidung ein. Sie habe ihre Geschichte öffentlich gemacht, um Gewaltopfer zu ermutigen, Täter anzuzeigen, sagt die heute 54-Jährige im Film.


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