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Opfer häuslicher Gewalt werden zunehmend mit digitalen Mitteln ausspioniert und kontrolliert. © eige

Mit Spionage-Apps und Mini-Kameras Frauen drangsaliert

fs /  Häusliche Gewalt üben Täter zunehmend mit digitalen Mitteln aus. Behörden und Politik reagieren hilflos.

Die Heizung bleibt kalt, der Fernseher geht mitten in der Nacht in grosser Lautstärke in Betrieb, heimlich im Bad aufgenommene Videos tauchen im Internet auf: Opfer häuslicher Gewalt werden zunehmend mit digitalen Mitteln ausspioniert, drangsaliert und kontrolliert, berichtet die «New York Times». In Paarhaushalten kümmere sich meist der Mann um die Technik. Das ermögliche es ihm im Konfliktfall, die Technik gegen die Frau anzuwenden.

Blossstellen, bedrohen und erpressen
Täter nutzen Mini-Kameras und Apps, um Opfer zu überwachen und Geräte zu programmieren. Sie installieren beispielsweise in deren Smartphones heimlich Spionage-Apps. Telefonanrufe, SMS und Fotos können sie auf diese Weise einsehen und die Opfer mit den gestohlenen Daten blossstellen, anschwärzen, bedrohen und erpressen. Bildmontagen mit dem Opfer posten sie auf Dating- und Sex-Webseiten, inklusive Kontaktadressen des Opfers.

Mehr Beratungsanfragen
In Deutschland hat der «Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe» (bff) bereits Ende 2017 Alarm geschlagen. In einem Bericht heisst es, dass Beratungsanfragen zu digitaler Gewalt zunehmen. «Mit digitaler Gewalt meinen wir alle Formen von Gewalt, die sich technischer Hilfsmittel und digitaler Medien (Handy, Apps, Internetanwendungen, Mails etc.) bedienen und/oder Gewalt, die im digitalen Raum, z.B. auf Online-Portalen oder sozialen Plattformen stattfindet. Wir gehen davon aus, dass digitale Gewalt nicht getrennt von ’analoger Gewalt’ funktioniert, sondern meist eine Fortsetzung oder Ergänzung von Gewaltverhältnissen und -dynamiken darstellt.» Bei der Polizei erhalten Betroffene oft nicht die geeignete Hilfe, weil es dort kaum spezialisierte Fachleute gibt, sagt der bff. Er fordert, Betroffene besser zu unterstützen.

Kein Handlungsbedarf
Doch die Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf, wie aus einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken hervorgeht. Spezielle Statistiken über Taten, Täter und Opfer gebe es nicht. Allfällige Straftaten seien unter anderen Straftatbeständen erfasst. Einen Straftatbestand Cybermobbing, wie ihn Österreich 2016 eingeführt hat, hält die Bundesregierung nicht für praktikabel: «Die Lebenssachverhalte sind zu komplex und facettenreich, um sie alle unter einen einzigen eigenständigen Straftatbestand des Mobbing bzw. Cybermobbing zu fassen.»

Regierung lässt Frauen allein
Die Linken-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg und die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Möhring, bezeichneten diese Antwort gegenüber «BuzzFeed» als «zynisch». Wenn die Regierung keinen Handlungsbedarf sehe, nehme sie auch kein Geld für griffige Massnahmen in die Hand. Domscheit-Berg: «Ohne Zahlen zu erheben, das Strafrecht oder die Polizeiausbildung anzupassen, werden Frauen mit ihren Gewalterfahrungen im digitalen Raum alleingelassen.»
Der bff hat vor zwei Jahren das Aufklärungsprojekt «Aktiv gegen digitale Gewalt» gestartet. Bisher fördert der Bund dieses Projekt lediglich mit knapp 700’000 Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren. Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen müssen in erster Linie Länder und Kommunen finanzieren, schreibt die Bundesregierung.


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