Nicht alle Männer sind Täter, aber alle Frauen sind betroffen
Die junge Tiktokerin Prithika Chowdhury benutzt dafür das Bild eines Kuchens: Von zehn gleichen Stücken sind zwei vergiftet, doch niemand weiss welche. Deshalb würde niemand ein Stück probieren. Genauso geht es Frauen: Wenn sie damit rechnen müssen, nachts im öffentlichen Raum Gewalt zu erleben, verzichten sie darauf, allein unterwegs zu sein.
«Jede Frau ist schon in Angst die Strasse entlanggegangen»
Prithika Chowdhury veröffentlichte ihr Video nach dem Mord an Sarah Everad in London. Er sorgte im März weltweit für Entsetzen und Proteste. Die 33-Jährige war nachts auf dem Weg nach Hause mutmasslich von einem Polizisten ermordet worden. Darauf sprachen Frauen in den Medien über ihre Angst und ihre Erlebnisse, wenn sie nachts allein unterwegs sind. Die britische TV-Moderatorin Rachel Brookes fasste in ihrem Tweet zusammen, wie Frauen mit der Bedrohung umgehen: «Jede Frau, die du kennst, hat schon mal einen anderen Weg genommen. Jede Frau, die du kennst, hat Schlüssel zur Selbstverteidigung in der Hand gehabt. Jede Frau, die du kennst, hat schon mal so getan, als ob sie telefoniert. Jede Frau, die du kennst, ist um die Ecke gebogen und losgerannt. Jede Frau, die du kennst, ist schon in Angst die Strasse entlanggegangen.»
«Es sind zu viele Männer gefährlich»
Einige Männer fühlten sich von den Aussagen von Frauen persönlich angegriffen. Nicht alle Männer seien Täter, man dürfe nicht alle in den gleichen Topf werfen, hiess es unter dem Hashtag #notallmen (Nicht alle Männer). Prithika Chowdhury sagt in ihrem Video, dass nicht alle Männer gefährlich sind, aber zu viele. «Vor dir sind drei Türen, zwei davon sind sicher. Öffnest du jedoch die dritte Tür, wirst du sterben. Würdest du mit diesem Wissen eine der Türen öffnen?» Ihre Antwort: Wahrscheinlich nicht. Chowdhury: «Es sind nicht alle Türen gefährlich, aber genug. Es sind nicht alle Männer gefährlich, es sind einfach zu viele. Zu viele Männer, vor denen man Angst haben muss.»
Die 18-jährige Tiktokerin Audrey Clare erzählte, sie habe Angst vor Hunden, was nicht heisse, dass alle Hunde gefährlich sind. «Die Wahrscheinlichkeit von einem Hund gebissen zu werden, liegt bei einer von 73 Personen. Die Wahrscheinlichkeit, vergewaltigt zu werden, liegt bei einer von fünf Frauen.»
Kristen Scott schrieb über ein Video: «Wenn ich dir eine Box Maltesers Schokokugeln geben und sagen würde, dass eine von zehn eigentlich ein Stück Scheisse getunkt in Schokolade ist, dann würdest du doch bei allen vorsichtig sein, oder nicht?»
«Männer müssen sich ändern»
Die Aussage «nicht alle Männer» macht Männer zu Opfern und lenke vom Thema ab, sagen Kritikerinnen, Es ändere sich erst etwas, wenn Männer begreifen, wie gefährlich die traditionelle Vorstellung von Männlichkeit für Frauen sein kann. Anna-Béatrice Schmaltz von der feministischen Friedensorganisation CFD sagte in «20Minuten»: «Männer müssen anerkennen, dass Gewalt an Frauen ein grosses Problem ist. Es braucht ein Umdenken über unsere Geschlechterrollen.» Der junge Autor Chris Hemmings teilt diese Einschätzung: «Wir Männer müssen uns ändern.» Hemmings hat in einem Buch beschrieben, wie er sein Machoverhalten überwunden hat. «Es geht um die Sozialisierung von Männern, die dazu führt, dass manche Männer Frauen Gewalt antun», sagte er in der BBC. Nicht Frauen sollen sich anders verhalten müssen, sondern Männer.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine