Sexualstrafrecht: Kritik an Reform
Voraussetzung für eine strafrechtliche Verfolgung sind bisher Gewalt, Drohungen oder das Ausnutzen einer schutzlosen Lage. Aus juristischer Sicht liegt keine Vergewaltigung vor, wenn ein Opfer bloss «Nein» sagt und sich körperlich nicht wehrt.
Punktuelle Verschärfungen
Die Bundesregierung will diesen Paragrafen nun verschärfen. Als Vergewaltigung sollen neu auch folgende Fälle gelten:
- Der Täter überrascht das Opfer. Dieses leistet keine Gegenwehr, weil es mit dem Angriff nicht gerechnet hat.
- Der Täter hat das Opfer mit Gewaltdrohungen so eingeschüchtert, dass es sich nicht wehrt. Betroffen sind hauptsächlich Übergriffe in Beziehungen. Ob der Mann in der konkreten Situation Gewalt anwendet oder nur androht, soll keine Rolle mehr spielen.
- Der Täter droht nicht direkt mit Gewalt, setzt das Opfer aber massiv unter Druck. Er droht zum Beispiel, die Wohnung zu kündigen oder das Haustier zu töten.
- Das Opfer fürchtet, dass es bei Widerstand in grosse Gefahr gerät. Das kann zum Beispiel auf einem einsamen Parkplatz der Fall sein.
«Nein» muss genügen
Für Frauenorganisationen ist der Gesetzesentwurf unzureichend. Er führe lediglich weitere Ausnahmen ein, bei denen vom Opfer kein körperlicher Widerstand erwartet werde. Grundprinzip aber bleibe, dass das Opfer körperlich Widerstand leisten müsse. Laut dem Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland (bff) erlebt in Deutschland jede siebte Frau mindestens einmal in ihrem Leben schwere sexualisierte Gewalt. Der Vorschlag der Bundesregierung sorge nicht für einen umfassenden Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. Der bff und weitere Frauenverbände fordern mit der Petition «Nein heisst nein», dass ein eindeutiges Nein zu sexuellen Handlungen als Grenze zur Strafbarkeit genügen muss. Alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen müssten unter Strafe gestellt werden. Das verlange auch die Europaratskonvention zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen (Istanbul Konvention).
In Österreich wird seit Anfang dieses Jahres bestraft, wer die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person verletzt. Gewalt ist dafür keine Voraussetzung. Obwohl die Beweislage weiterhin schwierig sein wird, gilt die Reform als Fortschritt, weil das Strafrecht klar signalisiert, wo die Grenze zur Strafbarkeit ist.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine