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Ein einflussreicher Kolumnist warf bereits 1996 Hillary Clinton vor zu lügen. © cc

«Sie lügt»: Vorurteil diskreditiert Frauen

fs /  Der Vorwurf, Frauen würden lügen, ist für das Patriarchat systemrelevant. Jetzt kritisieren Prominente dieses Vorurteil öffentlich.

In Deutschland werfen mehrere Frauen Starregisseur Dieter Wedel vor, sie drangsaliert, sexuell bedrängt und teils vergewaltigt zu haben. Die meisten Anschuldigungen sind verjährt oder strafrechtlich nicht relevant. Doch im Fall der Schauspielerin Jany Tempel erhob die Staatsanwaltschaft jetzt Anklage. Noch bevor das Landgericht München entschied, ob es einen Prozess eröffnen wird, ging das Verteidigungsteam zum «Spiegel» und diskreditierte in einem Interview die mutmasslichen Opfer öffentlich.

Alles Lügnerinnen
Die Vorwürfe könnten «glatt gelogen» sein. «In der Causa Wedel spielen das weibliche Gefallenwollen, aber auch Berechnung eine grosse Rolle», sagte Anwältin Dörte Korn im «Spiegel». Zeuginnen seien von Beruf Schauspielerinnen, also Personen, «die gerne und schnell in andere Rollen schlüpfen, die aber auch die Gabe haben, überzeugend rüberzukommen in dieser Rolle».

«Vergewaltigungsmythen aus der Mottenkiste»
Der Vorwurf zu lügen diskreditiere die mutmasslichen Opfer und einen ganzen Berufsstand, kritisierten darauf über 500 Kulturschaffende in einem offenen Brief. Das Verteidigungsteam verbreite «Vergewaltigungsmythen aus der Mottenkiste», um die mutmasslichen Opfer unglaubwürdig zu machen. «Umgekehrt könnte man auch Herrn Wedel unterstellen, er nutze seine Fertigkeiten als Regisseur für eine perfekte Inszenierung vor Gericht aus.»
Keine Schauspielerin profitiere davon, wenn sie einen Regisseur beschuldige, sie vergewaltigt zu haben. Im Gegenteil: Die meisten fürchten um ihre Karrieren und schweigen oder äussern sich nur im Schutz der Anonymität. Zu den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des offenen Briefes gehören Kabarettistin Carolin Kebekus, Publizistin Anne Wizorek und die Schauspielerinnen und Schauspieler Jasmin Tabatabai, Claudia Michelsen, Peter Lohmeyer und Johann von Bülow.

Erfolgreiche Taktik auch in der Politik
Die Taktik, Frauen öffentlich der Lüge zu bezichtigen, ist nicht nur in Gerichtsverfahren über Sexualdelikte oft erfolgreich, sondern auch in der Politik. Betroffen sind vor allem Frauen, die mit Männern um Macht und Einfluss konkurrieren. Berühmtestes Beispiel ist Hillary Clinton. Sie sei von Natur aus eine Lügnerin, schrieb der einflussreiche Kolumnist William Safire bereits 1996 in der «New York Times». Den Beweis für eine Lüge gab es nie, aber ihre Gegner erhoben den Vorwurf immer wieder. Das Etikett der Lügnerin blieb an ihr haften und führte zu einem Misstrauen, das als ein Grund gilt, weshalb sie 2016 die Präsidentschaftswahl verlor. Auch Julia Gillard, erste australische Ministerpräsidentin von 2010 bis 2013, wurde der Lüge bezichtigt. Sie hatte sogar den Spitznamen «Ju-Liar» (Lügen-Julia). Die Korruptionsvorwürfe gegen sie wurden nie bewiesen, aber das Misstrauen blieb. Einem Politiker hingegen schadet es nicht einmal, wenn er erwiesenermassen lügt, wie das Beispiel von Donald Trump zeigt.

Systemrelevantes Misstrauen
Das Misstrauen gegenüber Frauen ist für das Patriarchat systemrelevant, sagt Jessica Valenti, Mitherausgeberin des Buches «Believe Me: How Trusting Women Can Change the World». Die feministischen Autorinnen aus dem englischsprachigen Raum schreiben darin, dass es strukturelle Veränderungen geben müsste, wenn man den Aussagen von Frauen grundsätzlich glauben würde. Zum Beispiel müsste man Frauen, die über virtuelle Gewalt berichten, endlich ernst nehmen und die Täter zur Verantwortung ziehen. Auch Recht und Rechtsprechung müsste man reformieren, wenn man den Aussagen von Frauen glauben würde, die Opfer einer Gewalttat wurden. Gerichte dürften beispielsweise kein Verständnis mehr für einen Mann zeigen, der seine Frau getötet hat, weil sie ihn verlassen hat.


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