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Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez: «Ich dachte, ich würde sterben.» © CSpan

«Taktik von Missbrauchstätern»

fs /  US-Abgeordnete berichten von Todesangst während des Sturms auf das Kapitol. Das Parlament dürfe nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Die Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez wollte nach dem Sturm auf das Kapitol, bei dem fünf Menschen starben, zahlreiche verletzt und traumatisiert wurden, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wer die Vorfälle herunterspiele und die Berichte von Überlebenden diskreditiere, übernehme die Taktik von Missbrauchstätern. «Sie senden eine ungeheuer schädliche Botschaft an Überlebende von Traumata im ganzen Land: dass das, was ihnen widerfahren ist, gar nicht so schlimm war», sagte die 31-Jährige an einer Sondersitzung des Repräsentantenhauses.

«Meine Kollegen und ich begannen zu beten»
Während einer Stunde schilderten demokratische Abgeordnete, was sie erlebten, als Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump in das Parlamentsgebäude einbrachen. Sheila Jackson Lee war im Plenarsaal: «Wir hörten die Worte ‹Beeilt euch, verschwindet›.» Als sie Schüsse hörten, «hockten wir uns hin und einige meiner Kollegen und ich begannen zu beten». Cori Bush war auf der Galerie im Plenarsaal. Sie habe gewusst, dass draussen eine Demonstration stattfinden soll, was sie nicht beunruhigt habe. Bis etwas geschah. Sie verliess die Galerie um nachzuschauen, was draussen los war. Als sie realisierte, dass Leute sich dem Eingang näherten, brachte sie sich in ihrem Büro in Sicherheit: «Mein Gedanke war: Wir kämpfen bis zum Ende.»

Auch Angestellte in Todesangst
Dean Phillips beschrieb, wie er und andere Parlamentarier auf der Galerie im Plenarsaal hinter ihren Sitzen in Deckung gingen und versuchten, ihre Gasmasken zu aktivieren. «Wir kennen das Geräusch von zerbrechendem Glas, den Schreien, den Möbeln, die vor Türen geschoben werden», sagte Phillips. «Wir wissen, wie es sich anfühlt, nach etwas zu suchen, irgendetwas um uns zu verteidigen, und zu realisieren, dass ein Bleistift alles ist, was wir haben.» Und sie wüssten was es heisse, damit zu rechnen, Familie und geliebte Menschen nicht mehr wiederzusehen. Mark Takano war in Sicherheit, machte sich aber Sorgen um die Menschen im Plenarsaal. Nicht nur Abgeordnete, sondern auch hunderte Angestellte im Kapitol seien in Todesangst gewesen. Viele seien nun traumatisiert, weil sie an ihrem Arbeitsplatz in Lebensgefahr waren.

Gewalt ernst nehmen
Rashida Tlaib war am 6. Januar nicht im Parlamentsgebäude. Doch sie berichtete unter Tränen von der ersten Morddrohung, die sie an ihrem ersten Tag im Parlament erhalten hatte. Es sei laut FBI eine ernstzunehmende gewesen. «Ich war noch nicht einmal vereidigt und schon wollte mich jemand umbringen.» Es sei traumatisierend, mit dem Tod bedroht zu werden, einfach weil man existiere. Sie habe seither unzählige Drohungen erhalten, auch gegen ihren Sohn. Jede habe sie gelähmt. «Ich bitte meine Kollegen und Kolleginnen, das was am 6. Januar passiert ist, ernst zu nehmen, sonst wird es noch mehr Tote geben», appellierte sie an die anderen Abgeordneten.

«Ich dachte, ich würde sterben»
Alexandria Ocasio-Cortez hatte Anfang Februar auf Instagram berichtet, wie sie den Sturm auf das Kapitol erlebte. Sie war in ihrem Büro als jemand an die Türe hämmerte und immer wieder schrie «wo ist sie?». Als der Mann in das Büro eindrang, versteckte sie sich im Badezimmer. «Ich dachte, ich würde sterben.» Es stellte sich heraus, dass es ein Polizist war, der sich allerdings nicht als solcher zu erkennen gab. Auf dem Weg zu einem anderen Gebäude habe sie die Schreie der Leute gehört, die in das Parlamentsgebäude einbrechen wollten. Sie fand schliesslich Zuflucht im Büro ihrer Parteikollegin Katie Porter. Diese berichtete später in einem Interview im TV-Sender MSNBC, dass die völlig aufgewühlte Ocasio-Cortez sagte: «Ich hoffe, ich kann noch Mutter werden, ich hoffe, ich sterbe heute nicht.»

Wahlbetrugs-Lügner zur Verantwortung ziehen
Im Instagram-Video erzählt Ocasio-Cortez, dass sie Opfer von sexueller Gewalt war und schon damals die Erfahrung gemacht hatte, dass man ihr nicht glaubt. Wenn Menschen einem nicht glauben, beginne man selber zu zweifeln, dass man von Gewalt betroffen war. Wer von den Ereignissen im Kapitol traumatisiert sei, könne nicht einfach weitermachen, ohne über die Gewalt, die Toten, körperliche und seelische Schäden zu sprechen. «Diese Leute, die uns sagen, dass wir weitermachen sollen – dass es keine grosse Sache ist, dass wir vergessen sollen, was passiert ist, oder sogar sagen, dass wir uns entschuldigen sollen, weil wir sagen, was passiert ist – predigen die gleichen Taktiken wie Missbrauchstäter.» Ocasio-Cortez fordert, alle Abgeordneten zur Verantwortung zu ziehen, welche die Lüge vom Wahlbetrug verbreitet und damit die Leben von anderen Abgeordneten und Angestellten im Kapitol gefährdet haben.


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