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«Judith und Holofernes»: Artemisia Gentileschi malte dieses Gemälde nach einer Vergewaltigung. Sie wurde mit Daumenschrauben gefoltert, um herauszufinden, ob sie die Wahrheit sagt. © cc

Wieder glaubte man dem Mann

fs /  Im Verleumdungsprozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard urteilten die Geschworenen, dass die Frau lügt. Dieses Vorurteil ist Jahrhunderte alt.

Als die Barockkünstlerin Artemisia Gentileschi 1611 vergewaltigt wurde, musste sie nicht nur entwürdigende gynäkologische Untersuchungen über sich ergehen lassen. Sie wurde auch mit Daumenschrauben gefoltert, um herauszufinden, ob sie die Wahrheit sagt. Der verheiratete Täter wurde zur Strafe aus Rom verbannt. Auch Artemisia musste Rom verlassen, weil ihr Ruf dauerhaft beschädigt war. Sie war keine Jungfrau mehr und wurde der Prostitution beschuldigt.

Ein Artikel als Auslöser
Auch der Ruf der US-Schauspielerin Amber Heard wird wohl dauerhaft beschädigt sein. Ein Geschworenengericht in den USA hat sie kürzlich zu einer zweistelligen Millionenzahlung verurteilt, weil sie ihren Ex-Mann, US-Schauspieler Jonny Depp, verleumdet haben soll. Heard hatte 2018, zwei Jahre nach der Trennung von Depp, in einem Beitrag für die «Washington Post» geschrieben: «Vor zwei Jahren wurde ich zu einer öffentlichen Figur, die für häusliche Gewalt steht.» Wegen dieser Aussage verklagte Depp seine Ex-Frau, obwohl sie ihn nicht namentlich genannt hatte.

«Frauenschläger» Depp
Das britische Boulevardblatt «Sun» bezeichnete darauf Depp wegen mehrerer Übergriffe auf Heard als «Frauenschläger». Depp klagte wegen Verleumdung, konnte jedoch nicht beweisen, dass der Vorwurf nicht zutrifft. Der High Court in London urteilte 2020, dass die Mehrheit der Behauptungen im «Sun»-Artikel «im Wesentlichen wahr» ist. Depp habe Heard mindestens zwölf Mal geschlagen. Trotzdem warf man Amber Heard schon damals in den Social-Media vor, sie lüge.

«Hexenprozess im digitalen Zeitalter»
Als es jetzt zum Verleumdungsprozess in den USA kam, wurde dieser auf Antrag von Depp live übertragen. Heard wurden zwar keine Daumenschrauben mehr angelegt. Doch in den Social-Media formierte sich rasch ein Mob, der sie als Lügnerin verhöhnte und massiv bedrohte. US-Juristin Anne Franks von der University of Miami sprach im TV-Sender CNN von einem «Hexenprozess im digitalen Zeitalter». Auch in Europa übernahmen viele Medien das Social-Media-Narrativ der Lügnerin. Und so konnte man bald überall lesen, dass Heard lügt, obwohl niemand weiss, was zwischen den Eheleuten vorgefallen ist. 

Patriarchales Vorurteil
Diese Behauptung habe sich durchsetzen können, weil sie einem patriarchalen Vorurteil über Frauen entspricht, sagte die feministische Autorin Veronika Kracher dem «RedaktionsNetzwerk Deutschland». Für viele Menschen sei es immer noch wahrscheinlicher, dass eine Frau lügt, um einen Mann zu ruinieren, als dass der Mann gewalttätig ist. «Im Endeffekt sagt dieser Prozess: Als Mann wird dir geglaubt, egal was du sagst. Und als Frau kann man einen Beweis nach dem anderen vorlegen und das reicht nicht aus. Das ist so erschütternd.»

Im Zweifelsfall glaubt man dem Mann
Bei Vier-Augen Delikten ist die Wahrheitsfindung immer schwierig. Der Entscheid des US-Geschworenengerichtes zeigt, dass man im Zweifelsfall immer noch dem Mann glaubt. Das Urteil gegen Heard ist ein verheerendes Signal für alle Opfer häuslicher Gewalt. Viele werden in Zukunft eher schweigen, als zu riskieren, in einem Prozess als Lügnerin fertig gemacht und verurteilt zu werden, schrieb die feministische US-Autorin Jessica Valenti in ihrem Blog. 

Amber Heard hat angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.
Kunstmalerin Artemisia Gentileschi verarbeitete vor 400 Jahren die erlittene Gewalt künstlerisch. Im Werk «Judith und Holofernes» köpft Judith einen auf dem Bett ausgestreckten Mann. In ihrem Gesicht ist Entschlossenheit, Wut und Genugtuung zu sehen. 

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