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Demonstration für die Zustimmungslösung «Ja heisst Ja» vor dem Bundeshaus in Bern. © srf

«Ja heisst Ja»: Der Wille zählt und nicht das Verhalten

fs /  Das Schweizer Recht verlangt für den Tatbestand der Vergewaltigung ein Abwehrverhalten des Opfers. Das will eine Parlamentskommission ändern.

In der Schweiz will das Parlament das Sexualstrafrecht modernisieren. So soll für den Tatbestand der Vergewaltigung eine Nötigung durch körperliche oder seelische Gewalt nicht mehr vorliegen müssen. Doch ob das mutmassliche Opfer «Nein» oder «Ja» sagen muss, ist umstritten.

Widerspruch oder Zustimmung
Als erste Kammer entschied der Ständerat im Frühsommer, dass ein «Nein» des Opfers genügen soll. Auch die Schweizer Regierung hatte sich für diese Widerspruchslösung ausgesprochen. Hingegen hat sich die vorberatende Kommission des Nationalrates kürzlich mit überraschend deutlicher Mehrheit für die Zustimmungslösung «Ja heisst Ja» entschieden. Die zweite Kammer wird in der Wintersession über diesen Vorschlag beraten.

«Nein heisst Nein» hinterfragt Verhalten des Opfers 
Expertinnen kritisieren, dass die Widerspruchslösung «Nein heisst Nein» das Selbstbestimmungsrecht der Opfer weniger gut schütze als die Zustimmungslösung «Ja heisst Ja». Wie bisher verlange man vom mutmasslichen Opfer ein Abwehrverhalten. Es müsse sein Verhalten begründen und erklären, weshalb es nicht verbal oder nonverbal «Nein» gesagt hat. Opfern von Sexualdelikten weise man so weiterhin eine Mitverantwortung für die Tat zu – im Gegensatz zu Opfern anderer Straftaten. 

«Ja heisst Ja»: Statt des Verhaltens zählt der Wille des Opfers
Bei «Ja heisst Ja» muss eine vergewaltigte Person nicht mehr begründen, weshalb sie sich nicht oder zu wenig wehrte. Es zählt einzig ihr Wille. Hingegen muss der Beschuldigte erklären, weshalb er von einer Zustimmung ausgegangen ist. Die Verantwortung zu handeln, liegt damit nicht mehr allein beim Opfer. Damit könne der Gesetzgeber klar machen, dass der Konsens bei sexuellen Handlungen zentral ist und Passivität und Schweigen keine Zustimmung sind, sagen Fachfrauen. Sex sei kein verfügbares Gut, das man abwehren müsse, wenn man es nicht will. Widerspruch sei oft gar nicht möglich, beispielsweise wenn das Opfer im Schockzustand ist, Angst hat, überrascht oder getäuscht wird. «Nein heisst Nein» schütze deshalb die sexuelle Selbstbestimmung weniger gut als «Ja heisst Ja». 

Unschuldsvermutung auch für das Opfer
In der Debatte im Ständerat argumentierten die Gegner von «Ja heisst Ja», dass diese Zustimmungslösung die Unschuldsvermutung der Angeklagten ausheble. Doch diese würde neu für Angeklagte und Opfer gelten. Dies ist ein entscheidender Unterschied bei Vier-Augen-Delikten, wo die Beweislage meist schwierig ist. Im Zweifel für den Angeklagten gilt auch bei «Ja heisst Ja». Doch dem Opfer würde keine Mitverantwortung mehr zugeschoben. Für eine vergewaltigte Person ist es ein wichtiger Unterschied, ob ein Angeklagter freigesprochen wird, weil sie sich zu wenig gewehrt hat. Oder ob ein Angeklagter freigesprochen wird, weil Aussage gegen Aussage steht und in dubio pro reo den Freispruch verlangt. Denn mit «Ja heisst Ja» zählt der Wille der vergewaltigten Person und nicht ihr Verhalten.

«Ja heisst Ja» in zwölf Ländern 
In Europa ist «Ja heisst Ja» in dreizehn Ländern bereits Gesetz. Zuletzt hat Spanien diese Reform beschlossen. Die Zahl der Verurteilungen sei nirgends massiv angestiegen, sagte die Juristin Béatrice Müller im Tages-Anzeiger. In Belgien beispielsweise sei «Ja heisst Ja» seit 1989 im Strafgesetz.

In Deutschland ist seit drei Jahren die Widerspruchslösung in Kraft. Eine Person muss explizit «Nein» sagen, wenn sie keinen Sex will. Das Argument gegen «Ja heisst Ja» lautete wie im Schweizer Ständerat: Die Zustimmungslösung verstosse gegen die Unschuldsvermutung der Angeklagten.

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