Sorgerechtskonflikte: Müttern glaubt man nicht
Das «elterliche Entfremdungssyndrom» (PAS) geht zurück auf den US-Amerikaner Richard A. Gardner. Der Kinderpsychiater hat das «Entfremdungssyndrom» in den 80-er Jahren postuliert. Daran würden Kinder leiden, die von Müttern manipuliert werden, um sie vom Vater zu entfremden. Gardner ging so weit zu empfehlen, Vätern das Sorgerecht selbst dann zu geben, wenn die Mütter ihnen Gewalt und Kindsmissbrauch vorwerfen. Das seien meist falsche Anschuldigungen, um das Kind behalten zu können.
«Entfremdungssyndrom» und «Bindungsintoleranz»
Gardners Thesen sind umstritten. Trotzdem hielt sich die Behauptung, dass Mütter ihre Kinder aktiv dem Vater entfremden. Heute spricht man auch von «Bindungsintoleranz» der Mutter. Sie ertrage die Bindung des Kindes zum Vater nicht. Der Vaterrechtslobby ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, das «Entfremdungssyndrom» und die «Bindungsintoleranz» in der Justiz und den Medien zu verankern. Doch es sind unwissenschaftliche Begriffe. Es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür.
«Mir wurde nicht geglaubt»
Trotzdem begründen Gerichte und Gutachter damit immer wieder Entscheide, Müttern ihre Kinder wegzunehmen. Die Mütter werden pathologisiert, insbesondere wenn sie von häuslicher Gewalt berichten, wie ein ARD-Dokumentarfilm kürzlich zeigte. Er dokumentierte unter anderen den Fall einer Mutter, deren vier Kinder sich geweigert hatten, nach der Trennung den Kontakt zum gewalttätigen Vater aufrechtzuerhalten. Eine psychiatrische Gutachterin warf der Mutter vor, die Kinder dem Vater entfremdet zu haben. Die Mutter sagt im Film, sie habe dem Jugendamt gemeldet, dass die Kinder von väterlicher Gewalt berichteten: «Mir wurde nicht geglaubt. Im Endeffekt wurde mir Manipulation der Kinder vorgeworfen.» Die Behörden steckten die Kinder monatelang in ein Heim. Die Mutter klagte gegen das Gutachten. Sie gewann und erhielt mittlerweile von der Versicherung der Gutachterin eine Entschädigung von 300‘000 Euro. Zwei heute erwachsene Kinder schildern im Film, dass sie vor der Trennung der Eltern die häusliche Gewalt miterlebten. Den Vater wollten sie nach der Trennung wegen dessen Aggressivität nicht mehr sehen.
Entfremdungsthese ist «unsinnig»
Mit der Entfremdungsthese nehme man den Kindern ihre Stimme, sagt im Dokumentarfilm Jörg Fegert, Leiter der Klinik für Kinder-und Jugendpsychologie in Ulm. Man gehe davon aus, dass die Kinder sowieso manipuliert sind. Doch es gebe dazu keine wissenschaftlichen Studien. «Die Vorstellung, dass Eltern bestimmte Techniken haben, wie sie Kinder programmieren, ist unsinnig.» Kinder seien vielmehr in einem riesigen Loyalitätskonflikt. «Diese Kinder sind nicht ferngesteuert, sondern in einer unglaublich schwierigen Situation. Deshalb ist es wichtig, genau in solchen Situationen die Kinder anzuhören.» Sie nicht anzuhören führe dazu, dass Gerichte meinen, durch eine Verpflanzung des Kindes zum anderen Elternteil diese Beziehung wieder herstellen zu können. Fegert: «Wenn Eingriffe in Grundrechte, also massive Entscheidungen, auf Theorien aufgebaut sind, für die es keine empirischen Befunde gibt, dann finde ich das hoch problematisch.»
«Gewalt gegen Alleinerziehende»
Unwissenschaftliche «Pseudo-Konzepte» wie «Entfremdungssyndrom» und «Bindungsintoleranz» stellten Mütter als Lügnerinnen und psychisch krank dar und diskreditieren sie. Das sagt Reem Alsalem, Uno-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen und Kinder. Dies sei Gewalt gegen Alleinerziehende und ihre Kinder. Alsalem fordert, dass Richter und Gutachter ihre Urteile nicht weiter mit solchen «Pseudo-Konzepten» begründen, sondern mit Fakten zu den konkreten Fällen. Alsalem hat im letzten Frühjahr einen Bericht über Gewalt gegen Frauen und Kinder in Sorgerechtsverfahren veröffentlicht.
Weisse Lilien vor Familiengerichten
In Deutschland und Österreich macht jeweils im Herbst die «White Lily Revolution» auf institutionelle Gewalt an Frauen und Kindern aufmerksam. Alleinerziehende legen weisse Lilien vor Institutionen wie Familiengerichte und Jugendämter, um auf die Gewalt aufmerksam zu machen, die sie und ihre Kinder in Familiengerichtsverfahren erleiden.