Wenig Hoffnung nach dem Pelicot-Prozess
In Frankreich hat Dominique Pelicot seine Frau Gisèle jahrelang betäubt, missbraucht und 90 fremden Männern zur Vergewaltigung überlassen. Ende letzten Jahres wurden rund 50 Vergewaltiger verurteilt. Antoine Camus, einer der Anwälte von Gisèle Pelicot und deren Kinder, sagte vor Gericht, er habe wenig Hoffnung, dass der Prozess zu einem Wandel in der Gesellschaft, einem neuen Bewusstsein und einem neuen Blick auf Vergewaltigungen führen werde. Die Anwälte der vielen Vergewaltiger von Gisèle Pelicot könnten ihn so pessimistisch gestimmt haben. Diese argumentierten mit bekannten Anschuldigungen gegen Frauen, die ihre Peiniger anzeigen: Gisèle Pelicot sei rachsüchtig, eine Exhibitionistin, weil sie die Videos ihrer Vergewaltigungen vor Gericht zeigen liess, sie lüge und sei nicht ausreichend traurig.
«Zu viele Männer sind Teil der Vergewaltigungskultur»
US-Autorin Rebecca Solnit schrieb im Guardian, weltweit hätten Frauen den Fall diskutiert und darüber nachgedacht. «Aber Männer? Solange sich Männer nicht ernsthaft und ehrlich mit der Verbreitung sexueller Übergriffe und den Aspekten einer Kultur, die diese feiern und normalisieren, auseinandersetzen, wird sich nicht genug ändern.» Diese zu ändern, sei nicht Aufgabe der Frauen. «Obwohl viele Männer Feministen sind, sind viel zu viele Männer Teil der Vergewaltigungskultur, die in diesem Prozess zur Schau gestellt wurde.» Das Strafrechtssystem könne diese Kultur nicht verändern. Das sei Aufgabe der Männer, schreibt Solnit.
«Das beklemmende Schweigen der Männer»
Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP Schweiz, schrieb im «Tages-Anzeiger», der krasse Fall von Gisèle Pelicot sei tagelang in den Medien gewesen. Doch die alltägliche Gewalt gegen Frauen sorge nicht für Schlagzeilen. «Trotz der Allgegenwart von verbaler, psychischer und physischer Gewalt gegen Frauen schaffen es die meisten Männer, das zu verdrängen.» Das beklemmende Schweigen der Männer habe System. «Ich merke das bei mir selbst. Es fällt mir schwer, über diese Dinge zu sprechen.» Männer müssten begreifen, dass Männergewalt ein Männerproblem ist und dieser Gewalt ein Ende setzen.
«Pandemie sexualisierter Gewalt»
Standard-Kolumnist Nils Pickert schrieb, die Gesellschaft gebe sich weiter begriffsstutzig. «Wir distanzieren uns gedanklich und sprachlich. Wir nennen die Taten unfassbar und die Täter monströs.» Doch Opfer sexualisierter Gewalt hätten mehr als Entsetzen über Taten und Täter verdient. «Wenn wir uns weiterhin begriffsstutzig überrascht geben, anstatt wirklich alles daran zu setzen, die Pandemie sexualisierter Gewalt gegen Frauen endlich einzudämmen, dann wird es millionenfach wieder passieren.»
«Frauen sind nicht wichtig genug»
Valérie Catil schrieb in der «Tageszeitung», der Prozess hätte das grosse Aufwachen sein können für die Gefahren, denen Frauen ausgesetzt sind. Doch das sei Zukunftsmusik. Sie verwies auf die Recherche des NDR-Investigativformats STRG-F, das Ende letzten Jahres ein internationales Netzwerk von Vergewaltigern auf der Plattform Telegram aufgedeckt hat. In verschiedenen Chaträumen geben Zehntausende Männer einander Tipps über die besten Betäubungsmittel, tauschen Bilder und Videos der Vergewaltigungen aus und lassen sich beraten, in welche Körperöffnung oder mit welchem Objekt sie die betäubte Person als Nächstes penetrieren sollen. In der Gruppe sind knapp 73‘000 Mitglieder. Deutsche und US-Behörden zeigten sich gegenüber dem Rechercheteam desinteressiert. Die Telegram-Gruppen gibt es weiterhin. Valérie Catil: «Man könnte den Eindruck gewinnen, dass den Verantwortlichen Frauen nicht wichtig genug sind.»
Hasskommentare verhöhnen Gisèle Pelicot
Wenig Hoffnung auf ein Umdenken machen auch die vielen Online-Hass-Kommentare, die Gisèle Pelicot verhöhnen. Die Bild-Zeitung suchte einen Mann zu Hause auf, den die Redaktion aufgrund seiner Mailadresse identifizieren konnte. Er kommentierte einen Artikel über den Prozess mit «Nu is’gut. Reicht jetzt auch» und «Die ist aber hässlich». Der Arzt bestritt zuerst, die Mail geschrieben zu haben. Dann entschuldigte er sich. Er habe einen «schlechten Tag» gehabt.