Deutschland: Splitting bevorteilt Ehepaare
Die alleinerziehende Reina Becker, Mutter zweier Kinder in der Ausbildung, muss 7300 Euro (8900 Franken) mehr Steuern zahlen als ein kinderloses Ehepaar, das zusammen gleich viel verdient. Dies hat das Niedersächsische Finanzgericht entschieden, berichtet die «Nordwest-Zeitung». Grund für die höhere Steuerrechnung ist das Ehegattensplitting, das verheiratete Paare bevorteilt und zwar unabhängig davon, ob sie Kinder haben. Für Reina Becker ist dies verfassungswidrig. Sie hat deshalb wegen Verstosses gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz in der Verfassung geklagt (Artikel 3 Grundgesetz). Sie verlangt, als Alleinerziehende ebenfalls nach dem Splittingverfahren veranlagt zu werden.
Die vorsitzende Richterin, Georgia Gascard, sagte in der Urteilsbegründung, das Ehegattensplitting sei weder «besonders kinderfreundlich und nicht besonders alleinerziehendenfreundlich». Trotzdem geht das Gericht davon aus, dass das Splitting nicht verfassungswidrig ist. Reina Becker will Revision beim Bundesfinanzhof in München einlegen, um ein Grundsatzurteil zu erstreiten. Es wird erwartet, dass der Bundesfinanzhof den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorlegen wird.
Dank Splitting sinkt der Steuersatz
Mit dem Tod ihres Mannes 2006 hat Reina Becker den Anspruch auf das Ehegattensplitting verloren, obwohl ihre beiden Töchter noch in der Ausbildung sind. 2008 verdiente die selbstständige Steuerberaterin rund 66’000 Euro (80’000 Franken). Sie musste 22’300 Euro Steuern zahlen und damit 7300 Euro mehr als ein kinderloses Ehepaar mit traditioneller Rollenverteilung. Wenn bei diesem Paar der Ehemann 66’000 Euro verdient und seine Ehefrau nichts, kann das Ehepaar dank des Ehegattensplittings zweimal 33’000 Euro versteuern. Aufgrund des tieferen Steuersatzes zahlt das Ehepaar nur 15’000 Euro Steuern. Laut Reina Becker wird sie bis zum Ende des Studiums ihrer beiden Töchter rund 100’000 Euro (122’000 Franken) mehr Steuern bezahlt haben als ein kinderloses Ehepaar mit gleichem Einkommen, das vom Splitting profitiert.
Frauenpolitikerinnen fordern Individualbesteuerung
Im Unterschied zu Alleinerziehenden können gleichgeschlechtliche Paare in eingetragener Lebenspartnerschaft neu vom Splitting-Vorteil profitieren. Das Parlament hat einem entsprechenden Gesetzesentwurf zugestimmt. Die Gleichstellung im Steuerrecht von gleichgeschlechtlichen Paaren mit heterosexuellen Ehepaaren hatte das Bundesverfassungsgericht verlangt.
Frauenpolitikerinnen und -organisationen fordern in Deutschland seit Jahren, die Individualbesteuerung einzuführen und das Splitting für Ehepaare abzuschaffen. Dieses sei kein Anreiz für Ehefrauen, erwerbstätig und damit finanziell eigenständig zu sein. Zudem würden vor allem hohe Einkommen vom Splitting profitieren. Wer wenig oder keine Steuern zahlen müsse, habe vom Splitting keinen finanziellen Nutzen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine