«Frauen waren Teil eines weltweiten Experimentes»
Die australische Behörde «Therapeutic Goods Administration» hat Synthetik-Netze gegen Beckenbodensenkung ab dem neuen Jahr verboten. Sie dürfen nur noch in Ausnahmefällen eingesetzt werden. Aufgrund der neusten internationalen Studien ist die Zulassungsbehörde für Medizinprodukte zum Schluss gekommen, dass die Risiken grösser als der Nutzen sind. Geschädigte Patientinnen fordern seit Jahren, die Synthetik-Netze zu verbieten.
Hängematte
Scheidenimplantate sollen die Beckenbodenmuskulatur unterstützen. Diese ist eine Art Hängematte, um die Organe des unteren Bauchbereichs wie Harnblase und Gebärmutter zu tragen. Die Beckenbodenmuskulatur und ihre Bänder können wegen Bindegewebsschwäche oder nach Geburten locker werden. Folgen können unkontrollierter Urinverlust und Schmerzen sein.
Synthetik-Netze werden operativ eingesetzt. Nach der Operation klagen zahlreiche Frauen über unerträgliche und dauerhafte Schmerzen. Die Operation rückgängig zu machen und das Netz zu entfernen, gilt als sehr schwierig.
Schlecht über Risiken informiert
In Australien haben deshalb im Sommer 700 Patientinnen den Hersteller Johnson & Johnson Australien verklagt. Bei den meisten Klägerinnen hat sich das Zellgewebe um das Netz herum entzündet. Sie leiden unter ständigen starken Schmerzen, Gewebeschäden und Infektionen. Das führt dazu, dass sie keinen Sex mehr haben, nicht mehr gehen und nur noch kurze Zeit sitzen können, weil die Schmerzen in Beine und Rücken ausstrahlen. Einige Frauen sitzen zeitweise im Rollstuhl. Einzelne sind an Infektionen gestorben. Die Klägerinnen werfen dem Hersteller vor, die Komplikationen zu wenig erforscht zu haben. Sie seien deshalb vor dem Eingriff nicht ausreichend über die Risiken informiert worden.
«Jeden Tag Schmerzen»
Klägerin Gai Thompson sagte gegenüber der öffentlich-rechtlichen «Australian Broadcasting Corporation» (ABC), das Synthetik-Netz habe ihr Leben ruiniert. Ihr sei in den neun Jahren seit der Operation immer wieder gesagt worden, dass ihre Beschwerden nichts mit dem Implantat zu tun haben. «Ich denke nicht, dass andere Menschen verstehen können, was es heisst, jeden Tag solche Schmerzen zu haben.» Auch in anderen Ländern wie Grossbritannien, den USA und Kanada haben Frauen wegen der Synthetik-Netze Klagen gegen die Hersteller eingereicht.
Fehlende Daten
Scheidenimplantate werden auch in Deutschland verwendet, sagte Ursula Peschers, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), gegenüber der «Tageszeitung». Es sei letztlich die Entscheidung der Patientinnen, ob sie die Risiken der Operation in Kauf nehmen wollen. Statistiken über die Häufigkeit solcher Operationen und ihre Folgen gebe es in Deutschland nicht. Die meisten Studien seien durch Hersteller finanziert und deshalb nur eingeschränkt objektiv. Der Epidemiologe Carl Heneghan von der Universität Oxford, schrieb in der Fachzeitschrift «BMJ Open»: «Wir wissen jetzt, dass Frauen mit Scheidenimplantaten gegen Beckenbodensenkung Teil eines weltweiten Experimentes waren, das in vielen Fällen total schief gegangen ist.» Heneghanv fordert verpflichtende klinische Tests für alle Implantate.
Schwierige Operation
Ein weiteres Problem ist laut dem «Guardian», dass die schwierige Operation nur von geübten Ärztinnen und Ärzten durchgeführt werden sollte. Davon gebe es aber weltweit nur wenige. Es könne deshalb schwierig sein herauszufinden, ob der Grund für die Beschwerden einzig das Implantat oder auch die Operation sei. Alternativen zu den Implantaten sind konservative Behandlungsmethoden wie Beckenbodengymnastik und Eigengewebe statt eines Implantats zu verwenden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine