«Kein Freibrief für Hormone in den Wechseljahren»
Hormone wurden einst als Wundermittel gegen Beschwerden in den Wechseljahren und zur Vorbeugung gegen Alterserscheinungen, Infarkt, Krebs und Osteoporose gepriesen. Für die Hormonpillen-Hersteller war dies ein lukrativer Markt. Dann zeigte die grosse, von der Pharmaindustrie unabhängige WHI-Langzeitstudie der US-National Institutes of Health, dass Hormone mehr schaden als nützen. Wer sie schluckt, hat ein höheres Risiko, an Thrombosen, Lungenembolien, Brustkrebs und Herzinfarkt zu erkranken. Die WHI-Studie musste deshalb 2002 abgebrochen werden.
Kein höheres Sterberisiko
Jetzt kommt scheinbar Entwarnung: Wer jahrelang Hormon-Pillen gegen Beschwerden in den Wechseljahren schluckt, hat langfristig kein höheres Sterberisiko. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie, welche die Fachzeitschrift «Journal of the American Medical Association» veröffentlicht hat. Das Forschungsteam um die Präventivmedizinerin JoAnn Manson von der Universität Harvard hat das Sterberisiko von Frauen analysiert, die an der WHI-Studie mit 27’000 Frauen teilgenommen hatten. Die Hälfte der Studienteilnehmerinnen schluckte Hormone, die andere Hälfte ein Scheinpräparat. Die Frauen wussten nicht, zu welcher Gruppe sie gehörten.
Positive Schlagzeilen
Die neue Studie kommt zum Schluss, dass Frauen, welche Hormone schluckten, in den zwölf Jahren nach Abbruch der WHI-Studie kein höheres Sterberisiko hatten als Frauen, die keine Hormone schluckten. Entsprechend positiv waren die Schlagzeilen in den Medien: «Forscher bewerten Hormontherapie neu» (Spiegel), «Hormontherapien sind weniger riskant als gedacht» (Die Welt), «Hormon-Präparate erhöhen nicht das Sterberisiko» (Deutschlandfunk) oder «Imagekorrektur für Hormone» (Tiroler Tageszeitung).
Keine Entwarnung
Keine Entwarnung gibt hingegen Ingrid Mühlhauser, Gesundheitswissenschaftlerin an der Universität Hamburg. Die neue Studie sei kein Freibrief für die unkritische Hormonabgabe in den Wechseljahren. Wenn langfristig nicht mehr Frauen sterben, sei dies erfreulich. Doch heute nehme niemand mehr jahrelang Hormone zur Krankheitsverhütung und Lebensverlängerung. Man müsse deshalb die unerwünschten Nebenwirkungen und nicht nur die Sterblichkeit beachten, sagte Mühlhauser der «Süddeutschen Zeitung». Die gesundheitlichen Gefahren hat die WHI-Studie aufgezeigt: Frauen, die Hormone schluckten, hatten mehr Schlaganfälle, Herzinfarkte und Thrombosen und Embolien als Frauen, die keine Hormone schluckten. Auch der Anteil der Frauen mit Brustkrebs war unter der Hormongabe erhöht. Laut Ingrid Mühlhauser gibt es dazu keine neuen Erkenntnisse und deshalb ändere die neue Studie nichts an den bisherigen Empfehlungen: «Frauen, die erhebliche Beschwerden haben, können Hormone einnehmen – allerdings möglichst kurz und in einer möglichst niedrigen Dosierung.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine