Jede vierte Frau erlebt Zwang während der Geburt
Ein Forschungsteam der Berner Fachhochschule Gesundheit, des Universitätsspitals Bern und der Universität Zürich hat dafür schweizweit 6000 Frauen, die in den Jahren 2018 und 2019 ein Kind zur Welt gebracht haben, nach ihren Geburtserfahrungen befragt.
Informeller Zwang
Unter anderem erhob das Forschungsteam unter Leitung von Stephan Oelhafen erstmals für die Schweiz, wie verbreitet informeller Zwang vor einer geburtshilflichen Massnahme ist. Die Selbstbestimmung der Frauen kann auf vielfältig Weise missachtet werden: Einseitige Information, Manipulation, Druck. Gebärende fühlen sich beispielsweise gedrängt, einem Kaiserschnitt, der Geburtseinleitung, Anästhesien, einem Dammschnitt oder dem Öffnen der Fruchtblase zuzustimmen, ohne richtig informiert zu sein.
Jede Vierte betroffen
Gut jede Vierte der befragten Frauen berichtete von informellem Zwang vor einer geburtshilflichen Massnahme, schreibt das Forschungsteam.
- Von diesem Viertel der Frauen sagte fast die Hälfte, zu wenig Informationen erhalten zu haben, und zu wenig Zeit zum Überlegen gehabt zu haben.
- Jede Vierte gab an, verängstigt worden zu sein.
- Jede sechste sagte, einer geburtshilflichen Massnahme nur unter Druck zugestimmt zu haben.
- Bei jeder zehnten Frau wurde eine Intervention durchgeführt, obwohl sie sich dagegen wehrte.
- Jede Zehnte fühlte sich manipuliert.
Frauen, die informellen Zwang erleben, haben ein höheres Risiko, eine postnatale Depression zu erleiden, schreibt das Forschungsteam. Fachleute müsse man deshalb besser dafür sensibilisieren, dass es für Gebärende einschneidende Folgen haben kann, wenn man ihre Selbstbestimmung missachtet: «Frauen haben das Recht, Entscheidungen unter der Geburt selbstbestimmt zu treffen.»
Übergriffe während der Geburt
Während einer Geburt kann es auch zu Situationen kommen, die Frauen als Übergriffe empfinden. Unter Gewalt in der Geburtshilfe leiden Betroffene oft jahrelang, wie die deutsche Soziologin Christina Mundlos im Buch «Gewalt unter der Geburt – Der alltägliche Skandal» schildert. Ein Grund für die Gewalt ist laut Mundlos der Stress in den Geburtsabteilungen: «Wenn Menschen unter Druck stehen, neigen sie eher dazu, übergriffig zu werden.» Betroffene schweigen aus Scham wie andere Gewaltopfer. Mundlos: «Bei Gebärenden kommt noch hinzu, dass ihnen oft mit Unverständnis begegnet wird, wenn sie auch nur andeuten, dass ihre Geburtserfahrung kein erfüllendes Erlebnis war.» Betroffene haben deshalb den «Roses Revolution Day» ins Leben gerufen. Er findet zeitgleich mit dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen jedes Jahr am 25. November statt und soll das Tabu «Gewalt in der Geburtshilfe» brechen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine