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Huschke Mau hat sich 10 Jahre lang in Deutschland prostituiert. © ndr

«Prostitution ist Gewalt, kein Job»

fs /  Die Diskussion um Prostitution wird von Mythen bestimmt, die sich hartnäckig halten. Eine Ex-Prostituierte entlarvt sie.

«Escort-Boom in Davos» titelte die «Bild-Zeitung» im Januar vor dem Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos. «Chefs buchen für sich und ihre Angestellten Escorts in die Hotelsuite» lautete die Schlagzeile in «20 Minuten». Bei der düsteren Weltlage sei es kein Wunder, «dass die Reichen und Mächtigen am Abend auf andere Gedanken kommen wollen», schrieb der «Blick». Die Artikel vermittelten den Eindruck, dass Prostitution ein Job wie jeder andere ist und es normal ist, dass Männer Frauenkörper kaufen. 

Kauf von Frauenkörpern ist legal
Das meint auch der Gesetzgeber: In der Schweiz und in Deutschland ist Prostitution rechtlich eine Dienstleistung. Männer dürfen legal Frauenkörper kaufen. Huschke Mau hat sich 10 Jahre lang in Deutschland prostituiert. In ihrer Kindheit war sie schwer misshandelt und traumatisiert worden. Als sie volljährig war, geriet sie in die Prostitution. Die erlittenen Misshandlungen, fehlende familiäre Bindungen, fehlendes Selbstwertgefühl, finanzielle Probleme und fehlende Alternativen waren Gründe für den Einstieg. Der Ausstieg dauerte Jahre. In ihrem Buch «Entmenschlicht» entlarvt Mau die gängigen Mythen, welche die Diskussion über die Prostitution bestimmen. Sie fordert ein grundsätzliches Umdenken, um den Kauf von Frauenkörpern und die damit verbundene Abwertung von Frauen zu stoppen. 

Mythos: Prostitution ist ein Job wie jeder andere
Frauen prostituieren sich laut Mau, weil sie in einer finanziellen Notlage und durch Gewalterlebnisse bereits traumatisiert sind. Wenn es ein Job wie jeder andere wäre, bräuchten Ausstiegswillige keine Unterstützung und keine Traumatherapien. Und Arbeitsämter müssten Jobs in der Prostitution anbieten. Doch das geschieht nicht. Damit teile die Gesellschaft Frauen in zwei Kategorien ein, schreibt Mau. Die einen wolle man nicht in der Prostitution sehen, den anderen mute man sie zu. 
Mau beschreibt eindrücklich, was es heisst, wenn täglich zehn und mehr fremde Menschen den eigenen Körper schon nur anfassen. Prostitution ist Gewalt und kein Job, sagt Mau. Die eine Person möchte Sex, die andere Person nicht. Sie brauche aber das Geld. «Was ist das für ein Job, der grundlegend darauf angewiesen ist, dass es traumatisierte Frauen gibt, die ihn erledigen?» 
Eine ehrliche Stellenbeschreibung würde Mau wie folgt formulieren: «Suchen eine Frau, die an Fremdbestimmung gewöhnt ist. Die sich von ihrem Körper abspalten kann und die es schafft, negative Gefühle nicht zu zeigen. Sie müssen sich in Täter einfühlen können und sexuellen Missbrauch mit einem Lächeln auf den Lippen durchstehen können. Sie müssen sich selbst überwinden können, immer wieder, mehrmals am Tag, und nett zu Ihren Missbrauchern sein. Zusatzqualifikation: Sie können dem Freier das Gefühl geben, der Missbrauch würde Ihnen gefallen und Sie würden die Abwertung nicht bemerken.»

Mythos: Es gibt freiwillige Prostitution
Prostituierte haben oft keine Alternative, schreibt Mau. Viele würden aus Selbstschutz sagen, sich freiwillig zu prostituieren. Das müsse man akzeptieren, aber nicht die Gesamtsituation. Wenn Menschen sich «freiwillig» ausbeuten lassen, müsse man die Ausbeutung verbieten. «Wichtig ist die politische, die strukturelle Analyse und nicht das plakative Zeigen auf Einzelfälle.» Man müsse über das ausbeuterische Freierverhalten sprechen, statt «freiwillige» gegen «unfreiwillige» Prostituierte auszuspielen.
Die Legalisierung der Prostitution hat laut Mau die Nachfrage nach Prostituierten emporschnellen lassen. Diese könne nicht befriedigt werden, ohne dass man Frauen zur Prostitution zwinge. Ein Zwang könne Gewalt sein, aber auch Hunger, drohende Obdachlosigkeit oder Schulden. 

Mythos: Prostitution ist weibliche Selbstbestimmung
Laut Mau ist das Gegenteil der Fall: Prostitution zementiert patriarchale Machtverhältnisse. Wenn ein Geschlecht jederzeit das andere legal kaufen kann, wirke sich das auf den Status der Geschlechter aus. In der Prostitution gehe es einzig um die Sexualität des Mannes und um Macht und Kontrolle über Frauen. Die Bedürfnisse und der Wille der Frau spielen keine Rolle.
Prostitution zementiert laut Mau auch Rassismus. Frauen werden offen aufgrund ihrer Nationalität angeboten: die devote Thai, die feurige Latina, die promiske Schwarze.  

Mythos: Prostituierte können jederzeit aussteigen
Mau schildert an ihrem eigenen Beispiel, wie schwierig bis unmöglich ein Ausstieg ist. Hauptgrund sei, dass die Hilfsangebote völlig unzureichend sind. Die meisten Prostituierten sind bei ihren Zuhältern und Drogenlieferanten verschuldet. Einige erpressen Prostituierte zudem mit Videos, die sie heimlich in Fluren und «Verrichtungszimmern» aufgenommen haben. Damit ein Ausstieg gelingt, brauchen Prostituierte laut Mau als erstes einen Alkohol- und Drogenentzug, eine Traumatherapie, einen sicheren Wohnort, finanzielle Absicherung, Ruhe und eine kompetente Beratung. Nötig sei auch der Schutz vor Zuhältern, da diese immer eine Ablösezahlung fordern. Bei einem Ausstieg muss eine Prostituierte diese selber zahlen. 

Mythos: Das «Nordische Modell» macht Prostituierte verletzlicher
Als erster Staat hat Schweden vor über zwanzig Jahren Freier kriminalisiert und Prostituierte entkriminalisiert. Seither wird der Kauf von Frauen bestraft. Die Gegner dieses «Nordischen Modells» argumentieren bis heute, dass es Prostitution in den «Untergrund» treibe, wo die Prostituierten noch weniger Schutz haben. Mau sagt, wenn Freier Prostituierte finden können, seien sie auch für die Polizei, Sozialdienst und Hilfsstellen auffindbar. 

Mythos: Ein Verbot bringt Prostitution nicht zum Verschwinden
Wenn eine Gesellschaft bestimmte Taten verbietet, verschwinden sie damit nicht, schreibt Mau: «Diebstahl ist verboten, aber es gibt ihn immer noch. Mord ist verboten, es gibt ihn immer noch. Raub ist verboten, es gibt ihn immer noch. Und wir alle wissen: Würden wir das Verbot aufheben, gäbe es noch mehr davon und wir wären eine Gesellschaft, die Mord, Raub und Diebstahl duldet. Jetzt ist die Frage, ob wir weiter eine Gesellschaft sein wollen, die Überreste der Sklaverei duldet, nämlich sexuelle Sklaverei – oder ob wir sie nicht doch endlich abschaffen wollen.»
In Schweden ist laut Mau mittlerweile eine Generation herangewachsen, die den Kauf von Frauen ächtet. Wenn kein Geschlecht das andere kaufen könne, verbessere dies die Stellung der Frau enorm, sagt Mau. «Ob in Deutschland oder in der Schweiz: Ich wünsche mir ebenfalls eine Gesellschaft, in der es normal ist, dass Menschen Sex haben, weil beide Lust darauf haben – und nicht, weil es Umstände gibt, die sie dazu zwingen.»

In der Schweiz hat das Parlament letztes Jahr die Einführung des Nordischen Modells zum wiederholten Mal abgelehnt.

Huschke Mau, Entmenschlicht. Warum wir Prostitution abschaffen müssen, Edel Books 2022, CHF 25.–/EUR 20.–.

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