Mediale Bühne für Kritiker gerechter Sprache
Der junge CDU-Politiker und Lehramtsstudent Lukas Honemann sorgte im ganzen deutschsprachigen Raum kürzlich für Schlagzeilen, weil er sich als «Opfer des Gendersternchens» inszenierte. Seine Professorin an der Universität Kassel habe ihm einen Punkt von der Note abgezogen, weil er eine schriftliche Prüfung in männlicher Form geschrieben habe. Das Ganze liege schon «einige Semester» zurück. Trotzdem hatte er mit seiner Inszenierung Erfolg: Die Universität Kassel gab ein Rechtsgutachten in Auftrag und empfahl Lehrkräften, gerechte Sprache vorerst nicht mehr als Kriterium bei der Bewertung von Prüfungsleistungen zu berücksichtigen.
Chefredaktor informiert einseitig
Im «Tages-Anzeiger» schrieb Michael Marti, Mitglied der Chefredaktion, Honemann stehe für den «wachsenden Widerstand gegen Zwangsgendern an deutschen Universitäten». Als Quelle für diese Aussage diente ihm der «Verein Deutsche Sprache». Vereinschef Walter Krämer sei «zum Äussersten entschlossen», schrieb Marti. Doch Honemann «wage» nicht so weit zu gehen: «Ich habe jetzt schon Angst, dass Interviews, die ich gebe, innerhalb der Universität negativ auf mich zurückfallen.»
Politisierende Berichterstattung
Welche Interessen der «Verein Deutsche Sprache» vertritt, scheint Marti offensichtlich nicht recherchiert zu haben. Was im Artikel auch nicht stand: Vereinschef Walter Krämer, Statistik-Professor an der Technischen Universität Dortmund, lehnt laut eigener Aussage im «Spiegel» Bachelor- und Masterarbeiten mit Genderstern ab. Der «Tages-Anzeiger» berichtete also politisierend statt informierend über den Fall von Lukas Honemann. Und ist damit kein Einzelfall.
«Sprache ist keine unschuldige Angelegenheit»
Sprachwissenschaftler Henning Lobin, Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache, kritisierte gegenüber der Online-Plattform «genderleicht» des Deutschen Journalistinnenbundes die Berichterstattung der Medien über gerechte Sprache:
- Viele Medien stellen den Konflikt immer gleich dar: Eine kleine Gruppe will aus ideologischen Gründen alle dazu zwingen, gerechte Sprache zu verwenden. Dies lehnt die Mehrheit unter Berufung auf den gesunden Menschenverstand ab. Beispiel «Tages-Anzeiger»: Sprachkolumnist Daniel Goldstein machte sich über gerechte Sprache als Anliegen einer Minderheit lustig.
- Viele Medien informieren nicht, dass die Gegner gerechter Sprache gut organisiert sind und wie die Befürworter eigene Interessen verfolgen. Der «Verein Deutsche Sprache» (VDS) ist ein sprachpolitischer Lobbyverband, der seit seiner Gründung 1997 gegen gerechte Sprache kämpft. Von der Wissenschaft fordere er, nicht die Sprache im Wandel zu erforschen, sondern Sprach-Vorschriften zu machen, sagt Sprachwissenschaftler Lobin. Medien machten dies nicht transparent, sondern übernähmen unkritisch Leserbriefe aus dem Umfeld und Aussagen aus Pressemitteilungen des Vereins. Lobin: «Sich für Sprache zu engagieren ist mit Interessen verbunden, es ist keine unschuldige Angelegenheit mehr.»
- Viele Medien zitieren Umfragen, ohne diese kritisch zu hinterfragen. So berichtete die FAZ vor zwei Jahren unter dem Titel «Ungeliebter Stern» über eine vom VDS in Auftrag gegeben Umfrage mit pauschalen, missverständlichen Fragen. Andere Medien griffen sie auf. Eine andere Umfrage des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache ergab hingegen, dass nur 17 Prozent der Befragten mit dem generischen Maskulinum zufrieden sind und fast 80 Prozent andere Formen bevorzugen. Das Institut habe konkrete Fragen gestellt und nicht pauschal nach der Meinung zum «Gendern» gefragt.
- Viele Medien übernehmen unkritisch Schlagworte wie «Sprachpolizei», welche Gegner gerechter Sprache in Umlauf gebracht haben. Laut Lobin sind es gerade der VDS und die AfD, die vorschreiben wollen, wer wie zu sprechen hat und nicht die Befürworter gerechter Sprache. Beispiel «Tages-Anzeiger»: Der mittlerweile pensionierte Literaturchef Martin Ebel wetterte mit Schlagworten der Rechtspopulisten gegen gerechte Sprache.
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Literatur: Henning Lobin, Sprachkampf. Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert, ISBN 978-3-411-74004-8, Bibliographisches Institut, D-Leipzig 2021, CHF 23.– /EUR 15.–
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine