Medien pflegen ein Vorurteil über die Solidarität der Frauen

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Barbara Marti /  Frauen sind untereinander solidarisch, setzen Medien voraus. Bei Männern tun sie dies nicht.

In der Schweiz sucht die SP nach dem Rücktritt von Bundesrätin Simonetta Sommaruga ein neues Mitglied für die Landesregierung. Die Parteileitung legte sich früh darauf fest, dass ihre Nachfolgerin eine Frau werden soll. 

Solidarität zwischen Männern erwartet niemand
Dies sorgte für Kritik von Ständerat Daniel Jositsch, der gerne Bundesrat werden möchte. Die Parteileitung will ihn aber wegen seines Geschlechts nicht nominieren. «Genossinnen stellen sich hinter Jositsch» lautete die Schlagzeile der Boulevardzeitung «Blick», obwohl auch Genossen den Entscheid der Parteileitung kritisierten. Doch das taugt nicht zur fetten Schlagzeile. Denn von Männern erwartet niemand, dass sie trotz Meinungsdifferenzen untereinander solidarisch sind. Frauen hingegen unterstellt man, dass sie unabhängig von inhaltlichen Differenzen grundsätzlich solidarisch mit anderen Frauen seien. Wenn sie es nicht sind, gibt das eine Schlagzeile her.

Frauen waren nie nur solidarisch
Einige Wochen vor dem Rücktritt von Sommaruga hatte eine knappe Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten die Erhöhung des Frauenrentenalters gutgeheissen. Mitentscheidend war, dass Frauen bürgerlicher Parteien sich im Vorfeld für das höhere Frauenrentenalter ausgesprochen hatten. In der «NZZ am Sonntag» hiess es: «Die Frauensolidarität droht zu bröckeln». Historikerin Regina Wecker, emeritierte Professorin für Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Universität Basel, stellte klar: «Zu glauben, alle Frauen seien gleicher Meinung, zielt an der historischen Realität vorbei.» Die Kontroverse zwischen radikaleren und gemässigteren Kräften sei eine Konstante der Gleichstellungsbewegung.

Inhalte sind entscheidend
Frauen sind untereinander so wenig oder so stark solidarisch wie Männer es untereinander sind. Trotzdem ist die Schlagzeile «Die Männersolidarität droht zu bröckeln» unvorstellbar. Wenn in Medien von Frauensolidarität die Rede ist, geht es meist darum, Frauen gegeneinander auszuspielen und damit emanzipatorische Anliegen zu Fall zu bringen. Doch Meinungsunterschiede prägen die Geschichte der Frauenbewegung. Erfolgreich war sie kaum je, weil die Frauen solidarisch miteinander waren. Erfolgreich war die Frauenbewegung, wenn sie sich auf eine gemeinsame inhaltliche Position einigen konnte. Für das neue Eherecht beispielsweise lobbyierten 1985 laut Wecker alle Frauenverbände und Parlamentarierinnen. In politischen Fragen geht es Frauen wie Männern um Inhalte, nicht um Solidarität untereinander.

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