«Cancel Culture» ist für Frauen nichts Neues
Frauen wurden und werden wegen ihres Geschlechts ausgegrenzt und zum Schweigen gebracht. Das galt lange als Teil der Kultur einer Gesellschaft oder sogar als naturgegeben. Im deutschsprachigen Raum müssen Frauen sich bis heute mit dem generischen Maskulinum ansprechen lassen. Und die Liste von Frauen ist lang, die wegen ihres Geschlechts mit Hasskommentaren und massiven Drohungen ausgegrenzt und um Schweigen gebracht werden sollen. Zuletzt bekamen in Deutschland mehrere Politikerinnen Morddrohungen vom «NSU 2.0».
«Genderdiktatur»
Mit «Cancel Culture» ist jedoch nicht das pauschale Ausgrenzen von Frauen gemeint. Das Modewort dient dazu, in kontroversen Debatten der Gegenseite Intoleranz vorzuwerfen. Die Meinungsfreiheit sei in Gefahr, heisst es dann. So nutzen Konservative den Begriff, um den «politisch Korrekten» Intoleranz vorzuwerfen und Gerechtigkeitsforderungen abzuservieren. Wenn beispielsweise Frauen mit der weiblichen Form angesprochen werden wollen, ist pauschalisierend von «Zensur», «Meinungsterror», «Sprachpolizei» und «Cancel Culture» die Rede. So schrieb der Literaturchef des «Tages-Anzeigers» kürzlich, man dürfe zu geschlechtergerechter Sprache keine abweichende Meinung mehr äussern ohne zu riskieren, «an den öffentlichen Pranger der unsozialen Medien gestellt zu werden».
Reaktion auf Emanzipation
Die Inszenierung einer Übermacht der «politisch Korrekten», die Andersdenkende zum Schweigen bringen, führte Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach im Online-Magazin «Republik» auf die fortschreitende Emanzipation zurück: «Der Verlust von Privilegien ist nicht nur ein unangenehmer Nebeneffekt, er ist Kern emanzipativer Politik.» Kontroverse Debatten seien ein Indikator, dass sich traditionelle Machtstrukturen verändern. Wenn jene, die als weniger wert gelten, mitreden wollen, empfinden das die Privilegierten als Frechheit, anmassend und übertrieben oder als «Terror». Die Behauptung, dass die «politisch Korrekten» Freiheiten einschränken wollen, habe auch einen wahren Kern, schreibt Schutzbach. Emanzipationsbewegungen gehe es immer darum, informelle Privilegien und Freiheiten von Mächtigeren und damit strukturelle Diskriminierungen zu beseitigen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine