«Es geht nicht um Sprachverbote, sondern um Respekt»
In Deutschland steht geschlechtergerechte, ‹politisch korrekte› Sprache in der Kritik. In Feuilletons, sozialen Medien und offenen Briefen ist von «Sprachaposteln» die Rede, die «Sprachverbote» aussprechen. Wer diese nicht beachte, werde geächtet.
Realitätsferne Kritik
In der Realität zeigt sich jedoch ein anderes Bild: So hat kürzlich ein deutsches Höchstgericht die Klage der 80-jährigen Marlies Krämer abgelehnt und entschieden, dass ihre Sparkasse sie weiterhin als «Kunde» ansprechen darf. «Statt gesellschaftlicher Ächtung erfuhr der Sparkassenverband den höchstrichterlichen Zuspruch des Bundesgerichtshofes», schreibt der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin in einem Gastbeitrag für die «Hannoversche Allgemeine Zeitung».
«Moralapostel» gescheitert
Ein weiteres Beispiel ist die harsche Kritik in Feuilletons und sozialen Medien zum Vorschlag, die Nationalhymne geschlechtsneutral zu formulieren. Die Kritik stiess nicht etwa auf Ablehnung, sondern auf Zustimmung von höchster politischer Stelle: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) lehnten jede Änderung ausdrücklich ab. Stefanowitsch: «Wenn es den ‹politisch korrekten Moralaposteln› um Sprachverbote ginge, müsste man ihnen also ein Scheitern auf ganzer Linie bescheinigen.»
«Frauen mutet man das zu»
Laut Stefanowitsch geht es jedoch nicht um Sprachverbote, sondern um gegenseitigen Respekt. Er fordert Kritiker der geschlechtergerechten Sprache auf, sich in die Haut von Menschen zu versetzen, die sprachlich diskriminiert werden. Männer sollten sich beispielsweise fragen, ob sie auf Bankformularen auch bloss «mitgemeint» sein und als «Kundin» bezeichnet werden möchten. Frauen mute man dies zu. Dies zu ändern, habe nichts mit Sprachverboten zu tun. Stefanowitsch: «Das Grundprinzip der ‹politisch korrekten› Sprache ist die goldene Regel der praktischen Ethik, bekannt durch das Sprichwort ‹Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu›. Oder, auf sprachliches Handeln angewendet: ‹Stelle andere sprachlich nicht so dar, wie du nicht wollen würdest, dass man dich an ihrer Stelle darstelle.’»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine