«Landesmutter»: Ein zwiespältiger Begriff
In der Schweiz sind mit Viola Amherd (CVP) und Karin Keller-Sutter (FDP) kürzlich zwei Frauen in den Bundesrat (Regierung) gewählt worden. Beide haben keine Kinder. Doch kurz nach der Wahl wurde Viola Amherd bereits als «Landesmutter» bezeichnet. Zuletzt wurde die frühere Bundesrätin Ruth Dreifuss (SP) so genannt.
«Zweischneidiges Schwert»
In Deutschland lebt Angela Merkel bereits einige Jahre mit dem Etikett «Mutti». 2009 soll ihn der damalige Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) erstmals verwendet haben, als Merkel ihm riet, wegen der Kälte einen Mantel zu tragen. Der Begriff sei ein «zweischneidiges Schwert», sagt Dorothee Beck, Geschlechterforscherin an der Universität Marburg. Einerseits könne er einer Politikerin ein warmherziges Image verpassen. Anderseits könne man mit dem Mutter-Klischee eine Politikerin auch abwerten. Einer Mutter schreibe man nach wie vor andere Eigenschaften zu als einem Vater.
Markenzeichen
Medien und eigene PR-Leute haben laut Beck Merkel als strenge, sich kümmernde, unermüdliche und sparsame Mutter populär gemacht. «Mutti» wurde zum positiven Markenzeichen, das Merkel mehr genutzt als geschadet habe. Als «Mutti» konnte sie beispielsweise innerparteiliche Gegner abstrafen, ohne einen Imageschaden befürchten zu müssen. Ihre rigorose Sparpolitik entspricht dem Bild der sparsamen Hausfrau, die nicht mehr Geld ausgeben darf, als sie zur Verfügung hat.
Positive Sprachbilder
Der Begriff «Mutti» sei grundsätzlich positiv besetzt, sagte Sprachforscherin Elisabeth Wehling von der Universität Berkeley der «Süddeutschen Zeitung». Sie erforscht, wie die Sprache das politische Denken beeinflusst. «Mutti» ist laut Wehling ein Bild, mit dem sich das Gehirn automatisch behilft, um sich einen abstrakten Sachverhalt zu erklären. Wenn es um Regierungshandeln gehe, können die wenigsten eigene Erfahrungen abrufen. Wehling: «Darum greifen wir auf das zurück, was uns ähnlich erscheint. Was das ist, wurde sozialwissenschaftlich umfangreich getestet: Jeder Mensch denkt, wenn er an Politik denkt, erst mal an seine eigenen Familienideale. Das passiert automatisch und bleibt in der Regel unbewusst. Daher kommen Sprachbilder wie Vaterland, Staatshaushalt, Landeskinder.» Dieser Deutungsrahmen ist generell positiv. Den Begriff «Mutti» abschätzig zu verwenden, funktioniert deshalb nicht, sagt Wehling. «Was hängen bleibt, wenn Merkels Gegner ‹Mutti› sagen, ist: ‹Merkel ist die Mutter der Nation› – also genau das, was sie nicht wollen», sagt Wehling.
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keine