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«Ein Staat ohne Frauenrechte ist keine Demokratie», sagt Politologin Regula Stämpfli. © Nationalmuseum

Schweizer Publikation zur Demokratie ignoriert Frauen

fs /  Die politische Mitbestimmung der Frauen ist für eine Demokratie unwichtig. Diese Botschaft vermittelt eine staatlich mitfinanzierte Publikation. Fachfrauen sind empört.

Die neue Broschüre «Swiss Democracy Passport» soll Menschen in aller Welt das politische System der Schweiz erklären. Ziel ist es, Demokratie in anderen Ländern zu fördern. Herausgeberin der Broschüre ist die «Schweizer Demokratie Stiftung». Die sieben Haupt- und Co-Autoren der Broschüre sind alles Männer. 

Ausschluss der Frauen kein Thema

Für diese ist es offensichtlich kaum der Rede wert ist, dass im angeblichen Vorbildland Schweiz die Hälfte der Bevölkerung über 100 Jahre lang von den demokratischen Rechten ausgeschlossen war. Mit einem einzigen Satz weist der Politologe Marc Bühlmann von der Universität Bern lediglich darauf hin, dass die Schweiz das Frauenstimmrecht erst 1971 einführte. Das sei Ausdruck des «Dilemmas», dass in der direkten Demokratie Menschen ohne demokratische Rechte grosse Hürden überwinden müssen, um diese Rechte zu erhalten.

«Grösster Skandal im Jubiläumsjahr»
Die Broschüre sorgte kaum für Schlagzeilen, obwohl die Schweiz erst in diesem Jahr 50 Jahre Frauenstimmrecht feiern kann. Einzig Fachfrauen äusserten sich empört. Politologin Regula Stämpfli sagte in der «Luzerner Zeitung», die Broschüre sei «der grösste Skandal im Jubiläumsjahr 2021». Politologe Marc Bühlmann, einer der beiden Hauptautoren der Broschüre, äusserte zwar Verständnis für die Kritik. Doch imFokus des Handbuchs sei die Funktionsweise der Schweizer Demokratie gestanden, nicht die Gleichstellung. Auch Bruno Kaufmann, Stiftungsratsmitglied der «Schweizer Demokratie Stiftung» und verantwortlicher Herausgeber der Broschüre, sagt, es sei nie die Absicht gewesen, einen Schwerpunkt auf das Frauenstimmrecht zu legen. 

«Schweiz ist erst seit 50 Jahren eine Demokratie»
Kathrin Bertschy, Co-Präsidentin des Frauendachverbands Alliance F, kann diese Begründung nicht nachvollziehen. Thema des Leitfadens sei die Demokratie. «Die Tatsache, dass wir eigentlich erst seit 50 Jahren eine Demokratie sind, die diese Bezeichnung auch verdient, hätte sicher mehr Platz verdient.» Kaufmann kündigte in der «Luzerner Zeitung» an, «aufgrund der vielen Rückmeldungen» in einer nächsten Ausgabe «diesem Sündenfall der Schweizer Demokratie» mehr Gewicht zu geben. 

Ministerium geht auf Distanz
Das «Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten» (EDA) schrieb auf Anfrage der «Luzerner Zeitung», die «Schweizer Demokratie Stiftung» sei verantwortlich für den redaktionellen Inhalt und die Gewichtung der Themen. «Das Aussendepartement war nur mit dem Vorwort an der Broschüre beteiligt.» Das EDA hat laut Kaufmann die Broschüre mit 8’000 Franken unterstützt, die restlichen Mittel stammen von der Stiftung. 

Strukturelles Problem
Ein Staat ohne Frauenrechte ist keine Demokratie, sondern eine Geschlechterdiktatur, schrieb Politologin Regula Stämpfli in einem Kommentar für den «Klein Report». Fehlende Frauenrechte seien kein «Dilemma»eines grundsätzlich gut funktionierenden Systems, sondern ein strukturelles Problem dieses Systems. Die Broschüre demonstriere der ganzen Welt, dass Frauenrechte für eine Demokratie nicht wichtig sind. Stämpfli fordert, die Broschüre zurückzuziehen. Es sei unvorstellbar, dass die Schweiz eine Broschüre in aller Welt verteile, die Frauen nur nebenbei und damit als unwichtig für das politische System erwähne.

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