Demonstration für Frauenrechte in Damaskus. © arte

Syrien: Déjà-vu für Frauen

fs /  Richterinnen sollen ihre Ämter aufgeben müssen, melden Medien. Das sei der erste Schritt Richtung Gottesstaat, warnt Alice Schwarzer.

Richterinnen in Syrien sind alarmiert. Der neue syrische Justizminister Shadi al-Waisi, liess durchblicken, dass Frauen sich für das Richteramt nicht eignen. Nach Berichten des «Tagesspiegel» und der «Jüdischen Allgemeinen» hat al-Waisi angeordnet, Frauen aus dem Richteramt zu entfernen. 

Parallelen zum Iran
Der neue Machthaber Syriens, Ahmed al-Sharaa, äussert sich zwar gemässigt. Er weiss, dass er ohne Hilfe auch des Westens das Land nicht wiederaufbauen kann. Sobald er seine Macht gefestigt habe, werde er die Maske fallen lassen und die Scharia einführen, befürchtet Alice Schwarzer in der Online-«Emma». Auch im Iran sei vor über 45 Jahren der autokratische, westlich orientierte Schah vertrieben worden in der Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft. Stattdessen errichteten die vom Westen eingesetzten Ajatollahs einen Gottesstaat.

«Die Betrogenen»
Die Parallelen sind aus der Reportage «Die Betrogenen» ersichtlich, die Alice Schwarzer nach dem Sturz des Schahs geschrieben hatte. Sie war im Frühjahr 1979 als eine der ersten in den Iran gereist. Wie heute in Syrien hatten an den Protesten gegen den Schah auch Frauen teilgenommen. Hunderte bezahlten das mit ihrem Leben. Nach dem Sturz des Schahs hatten Frauen öffentlich für ihre Rechte demonstriert. Solche Kundgebungen gab es nun auch in Syrien nach dem Sturz von Assad.

«Hemmungslose» und «taktische» Patriarchen
Es gebe im Iran zwei Sorten von Patriarchen, schrieb Schwarzer damals über die neuen Machthaber im Iran. Die «Hemmungslosen» reduzierten Frauen auf Ehe und Mutterschaft. Die «Taktischen» würden sich allgemein für Gleichberechtigung aussprechen. Auf konkrete Fragen zu Frauenrechten antworteten sie jedoch ausweichend und betonten stattdessen den «natürlichen Unterschied» zwischen Frauen und Männern. 

Ajatollahs entmachteten Richterinnen
Vor dem Machtwechsel noch um diplomatische Formulierungen bemüht, hätten die Ajatollahs rasch Platz genommen im «Herrensattel und den Frauen die Steigbügelhalter-Position zugewiesen». Als erstes erklärte der als «liberal» geltende Ajatollah Schiriat Madari, in einer islamischen Republik könnten Frauen nicht mehr Richterinnen sein, weil sie zu emotional seien. Richterinnen und einige Feministinnen widersprachen. Doch sie wurden marginalisiert und fanden bald kein Gehör mehr.

Kopftuchzwang, Geschlechtertrennung, Familiengesetz
Bald darauf verfügte Ajatollah Chomeini den Kopftuchzwang, die Geschlechtertrennung an Schulen und annullierte das Familiengesetz. Zehntausende demonstrierten gegen diese Verfügungen, auch in Provinzstädten. «Wir haben nicht gegen die Diktatur gekämpft, um uns einer neuen Diktatur zu beugen», zitierte Schwarzer einen Slogan. Doch die Mehrheit der Frauen und Männer solidarisierte sich nicht mit den Demonstrantinnen. Im Gegenteil: Sie forderten die Aktivistinnen auf, den Kampf für ihre Rechte einzustellen. Dieser schade der islamischen Revolution. Es sei wichtiger, das Land wiederaufzubauen.

«Wer nicht für seine Rechte kämpft, geht vergessen»
Nur eine Minderheit der Iranerinnen habe begriffen, was auf dem Spiel steht, schrieb Schwarzer damals. Die Mehrheit sei tief im islamischen Glauben verwurzelt und habe volles Vertrauen in die neuen Machthaber. Sie hofften auf volle politische und berufliche Gleichberechtigung. Doch diese aktiv einfordern würden sie nie. «Sie werden ein weiteres tragisches Exempel liefern dafür, dass Menschen, die nicht für ihre eigenen Rechte kämpfen, vergessen werden», prophezeite Schwarzer. Die Frauen seien gut genug gewesen, um für die Freiheit zu sterben. «Sie werden nicht gut genug sein, in Freiheit zu leben.»

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

IBAN: CH 0309000000604575581