Hass und Drohungen gegenüber Jacinda Ardern nahmen im Laufe ihrer Amtszeit als Regierungschefin zu © bbc

Ex-Premierministerin: «Empathie ist eine Stärke»

fs /  Selbstzweifel und Dünnhäutigkeit sind für eine politische Karriere kein Nachteil, sagt Jacinda Ardern, ehemalige Regierungschefin Neuseelands.

Fast alle Politikerinnen erleben Anfeindungen im Zusammenhang mit ihrem politischen Mandat. Dies zeigt eine aktuelle Umfrage im Auftrag der Schweizer Regierung. Auch Jacinda Ardern wurde oft beleidigt und bedroht, bis sie vor zwei Jahren wegen Erschöpfung von ihrem Amt als Regierungschefin von Neuseeland zurücktrat. Trotz dieser Erfahrung sagt Ardern, Dünnhäutigkeit und Selbstzweifel seien keine Schwächen, sondern Stärken. Sie seien Motivation, etwas zu verändern.

«Menschlichkeit und Anstand»
Ihre Autobiografie «A Different Kind of Power» ist im Sommer auf Deutsch erschienen. Darin geht es um Eigenschaften wie Sensibilität oder Dünnhäutigkeit, die Ardern anfangs für Schwächen hielt. Im Amt wurden sie dann aber sehr wichtig für sie. In einem Interview mit der ARD sagte Ardern, diese Eigenschaften seien keine Frage des Geschlechts. «Menschlichkeit und Anstand, das sind die Eigenschaften, die alle Mächtigen mitbringen sollten – Frauen wie Männer.»

«Einfach mal Ja sagen»
Mit 17 trat Ardern der neuseeländischen Labour Party bei. Sie hielt sich für wenig durchsetzungsfähig und selbstbewusst und hatte deshalb nicht die Absicht, in der Politik Karriere zu machen. Als Funktionäre der Partei sie 2008 ermutigten, sich in die Wahlliste für das nationale Parlament einzutragen, zögerte sie. Sie arbeitete damals als politische Beraterin in London und hielt ihre Wahlchancen für gering. Doch dann sagte sie sich: «Du hast schon so oft Nein gesagt. Vielleicht sagst du diesmal einfach mal Ja.» Die damals 28-Jährige wurde gewählt und blieb bis zu ihrem Rücktritt Mitglied des neuseeländischen Repräsentantenhauses.

«Empathie und Selbstzweifel sind keine Nachteile»
Im Parlament wurde sie oft verspottet und verhöhnt. Sie fragte sich, ob sie «zu dünnhäutig» für die Politik sei. Ein Parteiveteran riet ihr, authentisch zu bleiben: «Versprich mir, dass du nicht versuchen wirst, härter zu werden, Jacinda. Du fühlst Dinge, weil du Empathie hast und weil du dich sorgst. In dem Moment, in dem du das änderst, wirst du aufhören, gut in deinem Job zu sein.»

Sie habe oft das Gefühl gehabt, für eine Karriere in der Politik zu ängstlich und zu einfühlsam zu sein und zu viele Selbstzweifel zu haben, schreibt Ardern in ihrem Buch. Erst mit der Zeit habe sie gelernt, diese Eigenschaften als Vorteile und nicht als Nachteile zu sehen. «Wenn ihr dünnhäutig und sensibel seid, wenn Kritik euch in zwei Hälften reisst, dann ist das keine Schwäche, sondern Empathie», schreibt Ardern. «Alle Eigenschaften, die ihr für Schwächen haltet, sind in Wirklichkeit eure Stärken. Sie werden euch eine andere Art von Macht verleihen und euch zu Führungspersönlichkeiten machen, die diese Welt mit all ihren Turbulenzen vielleicht gerade braucht.» Wenn man wirklich etwas ändern wolle, brauche man Empathie. «Sie motiviert dich, Dinge zu ändern – und das ist eigentlich etwas Gutes in der Politik.»

Mit Kritik leben gelernt
Als Oppositionspolitikerin wurde Ardern oft dafür kritisiert, in Debatten zu wenig konfrontativ zu sein. Kommentatoren nannten sie «substanzlos», «ziemlich dumm» und eine Person, die mehr Schein als Sein verkörpere. Ardern schreibt: «Wenn die einzige Möglichkeit, in der Opposition zu punkten, darin besteht, Leute anzugreifen und niederzumachen, dann war ich vielleicht nur mittelmässig.» Sie habe menschlich bleiben wollen. «Also habe ich mich mit dieser Kritik abgefunden.»

Rücktritt nach Hasskampagnen
Ardern kam bis 2017 über die Parteiliste ins Parlament. Erst 2017 wurde sie erstmals direkt ins Parlament gewählt. Trotz der Niederlagen zuvor machte sie immer weiter. «Ich habe mich in den Schlaf geweint. Dann ging ich wieder an die Arbeit.»

2017 wurde sie mit erst 37 Jahren Regierungschefin. In ihre Amtszeit fielen Herausforderungen wie Terrorakte und die Pandemie. Sie wurde zur Hassfigur von Impfgegnern und selbsternannten Freiheitskämpfern. 2023 trat sie mit der für die Politik noch immer ungewöhnlichen Begründung zurück, dass sie erschöpft sei.

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Jacinda Ardern, A Different Kind of Power, Deutschsprachige Ausgabe, btb Verlag, München 2025, ISBN 978-3-442-76277-4, CHF 28.–/EUR 26.–
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