Kinderehen: Uneinheitliche Praxis in Europa
Das Uno-Kinderhilfswerk Unicef schätzt die Zahl der Ehen mit Minderjährigen auf weltweit 15 Millionen. Betroffen sind hauptsächlich Mädchen. Mit den Flüchtlingen kommen minderjährige Verheiratete vermehrt nach Europa, wo Kinderehen meist verboten sind. Ob die Anerkennung oder die Auflösung dieser Ehen die Rechte der Minderjährigen besser schützt, beurteilen Regierungen unterschiedlich.
Niederlande für Verbot
Die Niederlande anerkennen seit Anfang dieses Jahres im Ausland geschlossene Ehen mit Minderjährigen nicht mehr. Corinne Dettmeijer, Menschenhandels-Berichterstatterin der Regierung sagte im Sommer, dass zu dieser Nicht-Anerkennung flankierende Massnahmen gehören, um das Verbot von Kinderehen durchzusetzen. Die niederländische Regierung stellt jährlich eine Million Euro zur Verfügung, um Kinderehen zu bekämpfen. Damit wird unter anderem eine Webseite finanziert, die Migrantinnen und Flüchtlingsmädchen über Zwangsehen und Hilfsangebote informiert. Zudem werden Lehrkräfte und Ehrenamtliche geschult, um Zwangsehen zu erkennen und Aufklärungsarbeit zu leisten.
Dänemark krebst zurück
Dänemark hatte Anfang dieses Jahres ebenfalls beschlossen, im Ausland geschlossene Ehen mit Minderjährigen nicht mehr anzuerkennen. Wenn solche Ehepaare einreisten, wurden sie getrennt, auch wenn sie schon Kinder hatten. Nach dem Selbstmordversuch eines minderjährigen Ehepaares revidierte die Regierung kürzlich die Praxis und duldet seither bestehende Kinderehen, berichtet die BBC. Eine Trennung verstosse gegen das Recht auf Familienleben in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und gegen die Uno-Kinderrechtskonvention. Konservative Politiker fordern nun, dass Dänemark diese Abkommen kündigt.
Kontroverse in Deutschland
In Deutschland schätzt das Innenministerium die Zahl der verheirateten Minderjährigen auf fast 1500. Kinderehen sind verboten, doch Ausnahmen sind möglich, wenn eine im Ausland geschlossene Ehe nicht erzwungen scheint. Eine Trennlinie zwischen erzwungen und nicht erzwungen zu ziehen, gilt jedoch als schwierig. CDU/CSU fordern, Kinderehen ausnahmslos zu verbieten. Die Frage einer Zwangsehe stelle sich dann im Einzelfall gar nicht mehr. In Deutschland müsse deutsches Recht und nicht das Recht der Herkunftsländer gelten. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hingegen will lediglich die Kriterien für die Ausnahmen verschärfen.
Exemplarisch für die Kontroverse in Deutschland ist ein Gerichtsverfahren über eine in Syrien geschlossene Ehe einer 14-Jährigen mit einem 21-Jährigen. In erster Instanz hatte das Amtsgericht Aschaffenburg entschieden, dass die Ehe nach deutschem Recht nicht anzuerkennen sei. Das Oberlandesgericht Bamberg hingegen anerkannte die Ehe. Das Urteil begründete das Gericht mit dem in Syrien geltenden islamischen Recht (Scharia), das kein Mindestalter für Eheschliessungen kennt. In letzter Instanz wird wohl der Bundesgerichtshof entscheiden.
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keine