Nobelpreisträgerin: Appell gegen das Aufrüsten
«Rüstung und Überrüstung» heisst ein Text gegen die Spirale des Wettrüstens aus dem Jahr 1909. Autorin ist Bertha von Suttner, die 1905 als erste Frau den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Sie warf Politik und Medien vor, das Aufrüsten als alternativlos darzustellen: «Es gilt als bewiesene Weisheit, dass weiter und weiter gerüstet werden muss: es wäre unverständig und kindisch, noch dagegen zu reden. Das könnten höchstens die jeder Realpolitik entrückten Friedensvereinler tun.»
«Die Mehrheit der Bevölkerung will Frieden»
Militaristen und Rüstungsindustrie wüssten, dass die Mehrheit der Bevölkerung eigentlich Frieden wolle. Sie würden deshalb argumentieren, dass nur Aufrüstung Frieden sichere. Der Satz «Wenn Du den Frieden willst, so bereite den Krieg vor», werde millionenfach wiederholt, bis ihn alle glauben. Doch wer ihn ausspreche sei selber «kriegslustig», auch wenn er dies leugne. «Denn wenn jeder nur zur Verteidigung bewaffnet ist und nicht zum Angriff, wenn man also den Angriff ausschaltet, so kann überhaupt kein Krieg entstehen und die Rüstungen lassen sich sparen.»
«Der Militarismus braucht den drohenden Krieg»
Von den «Rüstungsfreunden» werde Misstrauen gegenüber Nachbarn genährt, geschürt oder künstlich geschaffen, schrieb von Suttner. «Den drohenden Krieg am Horizont braucht der Militarismus wie ein Stückchen Brot.» Die bösen Absichten des Nachbarn werden mit dessen Aufrüstung begründet, schreibt von Suttner. «Also überbieten wir ihn und beweisen so unsere Friedensliebe. Und jetzt sind wir wieder die Gefährlicheren. Alle die Heere und Flotten haben ja doch nur eines zu bekämpfen und abzuwehren: nämlich wieder Heere und Flotten. Gefahren und Schutz sind identisch.»
Vorschläge für Abrüstungsvereinbarungen schmettere man mit dem Argument ab, dass jedes Land am besten wisse, was es für seine Verteidigung braucht. Dabei sei man gerade bei der Abrüstung von den anderen abhängig: «Denn der eine richtet ja seine Wehrmacht nur nach derjenigen des andern; es kann nirgends eine Vermehrung der Kontingente, nirgends eine neue Waffe eingeführt werden, ohne dass dies – bei dem jetzt waltenden Systeme – dieselben Massnahmen bei den anderen zur zwingenden Folge hätte. In gar nichts anderem ist die gegenseitige Abhängigkeit – folglich die Unselbständigkeit – so gross wie in der Rüstungsfrage, die ja eine Rivalitätsfrage ist. Allein kann man nicht rivalisieren.»
«Wettlauf zum Abgrund»
Das Aufrüsten bezeichnet von Suttner als «Wettlauf zum Abgrund». Neue «Kriegswerkzeuge» würden die Vernichtungskraft um das Hundertfache verstärken und ihre Anschaffung um das Hundertfache verteuern. Der Anstoss für die Aufrüstung komme immer vom Kriegsministerium mit der Begründung, dass andere Kriegsministerien vorangegangen und dass man von Gefahr und Feinden umgeben sei. «Das schafft eine Atmosphäre von Angst, aus der heraus die Bewilligungen erwachsen sollen. Und wer verbreitet diese Angst? Wieder die militärischen Kreise. Die haben immer einen ‘unvermeidlichen’ Krieg auf Lager, besonders einen solchen, ‘der im nächsten Frühjahr losgehen wird’.»
«Presse propagiert System des bewaffneten Friedens»
Die Rüstungsindustrie und die Presse würden die Militärs unterstützen, schrieb von Suttner. Der Unterhaltungs-Presse wirft sie «Verhetzung, Arroganz, Grobheit und gefährlicher Aufreizung» vor. «Aber auch die sogenannte gemässigte, liberale Presse begünstigt das militaristische System auf eine mehr passive, aber darum nicht unwirksamere Weise.» Sie veröffentliche politische Grundsatzartikel für die Aufrüstung ohne Gegenargumente. «Über politische Situationen, die eine Kriegsgefahr zu bergen scheinen, wird das Gutachten ‘hoher Militärs’ eingeholt. Diese Gattung Presse vermeidet es zwar, direkt zum Kriege zu hetzen und direkt für Rüstungsvermehrung einzutreten, sie behandelt aber das ganze herrschende System des bewaffneten Friedens als etwas Unverrückbares, Selbstverständliches.» Gegenargumente würden als Träumerei, Utopie oder Intrige schlecht geredet. «Das nennen sie Realpolitik.»
«Aufrüstung ist auch Provokation»
Sogar Kriegsminister würden ab und zu eingestehen, dass in der Aufrüstung die Gefahr liegt, selber angegriffen zu werden, schreibt von Suttner. «Der Trugschluss liegt darin, die Rüstungen nur als Werkzeug der Sicherheit zu betrachten, statt auch als Provokation zum Kriege, als Quellen der Gefahr.» Die Zeitungen berichteten von Neuanschaffungen und Neuerfindungen von Waffen. Man denke allerdings nicht weiter darüber nach, wohin dies führen solle. Im Gegenteil: Je vernichtender die Wirkung von Vernichtungsinstrumenten beschrieben werden, desto schützender empfinde man sie.
«Der Rüstungswettlauf muss ein Ende nehmen»
Die internationale Rüstungsindustrie beliefere immer gleichzeitig alle Mächte mit den verbesserten Mordmaschinen. Das habe zur Folge, dass der Krieg für alle immer höllischer und die Vorbereitungen dazu immer ruinöser würden. «Das ist eine Schildbürgerei, die den gesunden Menschenverstand zum Aufschreien bringen müsste». Und weiter: «Dass der Rüstungswettlauf ein Ende nehmen muss, ist eine einfache mathematische Wahrheit. Eine ins Unendliche potenzierte Zerstörung kann es nicht geben, weil ja das zu Zerstörende endlich ist.»