Die afghanische Frauenrechtsaktivistin Julia Parsi sagt, das einzige Verbrechen der verhafteten Frauen und Mädchen sei, sichtbar zu sein. © JParsi

Verhaftungswelle gegen Frauen in Afghanistan

fs /  In Afghanistan intensivieren die Taliban ihren Kampf gegen Frauen. Die internationale Gemeinschaft schaut weg.

Im Juli haben die Taliban während mehrerer Tage in Kabul willkürlich Frauen und Mädchen auf offener Strasse verhaftet, entführt und misshandelt. Einige von ihnen sind bis heute verschwunden, wie Menschenrechtsorganisationen berichten. Als Vorwand dienten meist Kleidungsvorschriften, welche die Frauen angeblich nicht eingehalten hätten. Zeuginnen sagten jedoch aus, dass die Zugriffe willkürlich erfolgt seien, um Frauen einzuschüchtern und sie vollständig aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. In Afghanistan dürfen Frauen das Haus nur mit einem männlichen Vormund verlassen und müssen sich komplett verhüllen.

Mutige Kritik an den Verhaftungen
Bewaffnete Taliban-Agenten in gepanzerten Fahrzeugen verhafteten und entführten Frauen in der Nähe von Krankenhäusern, Restaurants und Bussen. Menschenrechtsorganisationen und mutige Aktivistinnen kritisierten die Verhaftungen öffentlich. Sie warnen, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handle, sondern dass die Verhaftungen Teil einer bewussten Strategie der Taliban im Kampf gegen Frauen seien. Es gehe darum, Frauen mittels Überwachung, Drohungen und Entführungen einzuschüchtern und schliesslich in der Öffentlichkeit ganz zum Verschwinden zu bringen.

«Schlag gegen die Freiheit der Frauen»
Frauenrechtsaktivistin Julia Parsi, die wegen ihres Engagements auch schon im Gefängnis war, sprach in der Online-Zeitung «Hasht e Subh Daily» von einem «grossen Schlag gegen die Freiheit der Frauen und ein Zeichen dafür, dass die Taliban ihre Stimmen fürchten». Das einzige Verbrechen der verhafteten Frauen und Mädchen sei, sichtbar zu sein. Eine junge Frau fragte im Schutz der Anonymität: «Warum diese brutale und demütigende Behandlung? Warum zielen sie, wenn sie ihre Macht zeigen wollen, auf den Körper und die Kleidung von Frauen ab? Warum müssen Frauen immer die Opfer sein?» Die Zeitung «Hasht e Subh Daily» war bis zur Machtübernahme der Taliban eine unabhängige afghanische Tageszeitung. Seither erscheint sie nur noch online.

«Besorgte» Uno
Ende Juli äusserte sich die Uno «besorgt» über die Verhaftungswelle. Ein solches Vorgehen verletze die Grundrechte von Frauen und Mädchen. «Diese Vorfälle dienen dazu, Frauen und Mädchen weiter zu isolieren, ein Klima der Angst zu schüren und das öffentliche Vertrauen zu untergraben.» Die Uno forderte die Taliban-Regierung auf, die Menschenrechte und Grundfreiheiten von Frauen und Mädchen zu achten.
Die Erklärung enthielt keine Angaben über die Anzahl der Inhaftierten und deren Aufenthaltsort und keine konkreten Forderungen an die Taliban-Regierung. Diese äusserte sich bisher nicht, wie die Nachrichtenagentur AP berichtete. Möglicherweise ist die Verhaftungswelle eine Reaktion auf die Haftbefehle, welche der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Anfang Juli gegen zwei Taliban-Führer erlassen hat. Er wirft ihnen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, weil sie Frauen und Mädchen Grundrechte und Freiheiten vorenthalten.

«Gender-Apartheid»
Mit den willkürlichen Verhaftungen intensivieren die Taliban eine Politik, welche die Uno als «Gender-Apartheid» anerkannt hat. Trotzdem schweigen Regierungen und internationale Gremien, die sich einst für die Rechte der afghanischen Frauen einsetzten, oder zeigen sich höchstens rhetorisch besorgt. Russland hat Anfang Juli die Regierung der Taliban als erstes Land sogar offiziell anerkannt. Den Preis für das Wegschauen bezahlen afghanische Frauen.

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