Kleidervorschriften: Zwischen Akzeptanz und Empörung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat erstmals über Kopftuchverbote von privaten Arbeitgebern entschieden. Unternehmen dürfen laut dem Urteil «politische, philosophische und religiöse Zeichen» am Arbeitsplatz verbieten, sofern eine firmeninterne Vorschrift das sichtbare Tragen jedes politischen, weltanschaulichen und religiösen Zeichens untersagt. Doch auch eine Vorschrift, die letztlich doch nur eine Religion oder Weltanschauung betrifft, kann laut dem EuGH gerechtfertigt sein. Allerdings nur bei Mitarbeitenden mit Kundenkontakt. Die «unternehmerische Freiheit» habe dann Vorrang.
Urteil betrifft Musliminnen
Das Urteil hat in der Öffentlichkeit für wenig Empörung gesorgt. Es entspreche dem Zeitgeist, der sich von der «Liberalität der europäischen Gesellschaften, auf die diese einst stolz waren» verabschiedet habe, schreibt die «Süddeutsche Zeitung». In der Praxis habe das Urteil nur für muslimische Frauen Bedeutung, weil andere religiöse Zeichen nicht ins Auge springen oder nicht am Arbeitsplatz getragen werden. Die vom EuGH definierten Voraussetzungen für ein Kopftuchverbot könnten Arbeitgeber problemlos erfüllen. «Das kann dazu führen, dass muslimische Frauen aus der Arbeitswelt hinausgedrängt werden.» Vor Diskriminierung warnt auch Amnesty International. In einer Zeit, in der Identität und Erscheinungsbild ein Reizthema sind, bräuchten die Menschen mehr Schutz vor Diskriminierung und nicht weniger.
Glaubensgemeinschaften gegen Kleidungsvorschriften
Glaubensgemeinschaften kritisierten, dass für den EuGH die unternehmerische Freiheit Vorrang hat vor der individuellen Glaubensfreiheit. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland erklärte, das Urteil sei eine «Abkehr von verbrieften Freiheitsrechten» und öffne das Tor, «dass muslimische Frauen in Europa weiter Diskriminierungen ausgesetzt werden». Bekir Alboga, Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union (Ditib), sagte, man dürfe Frauen nicht vorschreiben, wie sie sich zu kleiden haben.
Islamverband erlässt Kleidungsvorschrift
Doch andere Islamverbände machen genau das. In Österreich hat die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) eine Fatwa veröffentlicht. Danach ist das Tragen eines Kopftuches für Frauen und Mädchen ein «religiöses Gebot». Diese Kopftuchvorschrift hat in der Öffentlichkeit für Empörung gesorgt. Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) und Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ) sprachen von einem Angriff auf die Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen. Auch intern ist das Gutachten umstritten. Carla Amina Baghajati, Frauenbeauftragte der Glaubensgemeinschaft, kritisiert ein Kopftuchgebot. «Kopftuchtragen hat im Islam nicht den Stellenwert eines Dogmas oder einer Doktrin.» Frauen könnten selber bestimmen, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine