Diskriminierung: Billige Ausreden von Männern
Der Politologe Vincent-Immanuel Herr und der Ökonom Martin Speer beraten Manager, Beamte und Nachwuchskräfte. Die Mehrheit dieser Männer seien keine Sexisten, schreiben die beiden in einem Gastbeitrag für den «Spiegel». Doch sie engagieren sich auch nicht aktiv für Gleichstellungsanliegen. Der Grund sei nicht eine Ideologie, sondern Unverständnis und Ignoranz. Diese Zurückhaltung der Männer trage dazu bei, diskriminierende Strukturen zu legitimieren und aufrecht zu erhalten. Solche Männer seien «unbewusste Sexisten», die hauptsächlich drei Ausreden angeben.
«Frauen sind gleichberechtigt»
Dies ist laut Herr und Speer die häufigste Ausrede von Männern. Sie gehen vom männlichen Privileg aus, nicht diskriminiert zu werden und nehmen deshalb an, dass auch andere nicht diskriminiert werden: «Männer unterschätzen masslos die Wirkung einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die sie als Männer in fast allen Belangen, ganz besonders, wenn es um Geld, Macht und Status geht, als Norm und Standard festlegt.»
«Das ist ein Frauenthema»
Viele Männer sagen nichts zu Geschlechterdiskriminierung, weil sie Wissens- und Erfahrungsdefizite haben, schreiben Herr und Speer. Mit diesem Schweigen delegieren sie ein Problem, das mehrheitlich Männer verursachen und aufrechterhalten, an die Frauen. Viele Männer fühlen sich beim Thema Sexismus auch persönlich angegriffen und nehmen eine Verteidigungshaltung ein. Fakten über Diskriminierung empfinden sie als Angriff auf die eigene Person und die eigene Männlichkeit. Eine konstruktive Diskussion ist dann laut Herr und Speer kaum noch möglich: «Was Männer hierbei unterschätzen: Nur weil ich als Mann nicht physisch übergriffig geworden bin oder eine Frau verbal belästige, heisst das noch lange nicht, dass ich nicht trotzdem – bewusst oder unbewusst – Teil einer patriarchalen Struktur bin, von der ich profitiere, und in der Frauen und queere Menschen regelmässig den Kürzeren ziehen.»
«Wir haben grössere Probleme zu lösen»
Diese Ausrede relativiert die Diskriminierung von Frauen, schreiben Herr und Speer. Das Problem wird zwar anerkannt, hat aber keine Priorität. Der Verweis auf andere Missstände unterstellt Frauen zudem, beim Thema Sexismus zu übertreiben. Den richtigen Zeitpunkt, sich um Fragen von Geschlechtergerechtigkeit zu kümmern, gibt es für Männer mit dieser Ausrede nie. Anderes ist immer wichtiger. Geschlechtergerechtigkeit ist für sie ein Luxusthema, das vielleicht gut für das Image ist, aber keinen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leistet. Laut Herr und Speer verkennen Männer mit dieser Ausrede, dass zum Beispiel ein grösserer Frauenanteil in Unternehmen und Führungspositionen finanzielle Vorteile mit sich bringt. «Wer Geschlechtergerechtigkeit fördert, trägt damit direkt und indirekt zur Lösung anderer Probleme bei, wie wirtschaftlicher Stagnation, Gesundheit und Produktivität der Mitarbeitenden, Innovationsfähigkeit oder Fachkräftemangel.»
Appell an Männer
Die meisten Männer nehmen ihre Privilegien zu wenig wahr, schreiben Herr und Speer. Sie sollten von Frauen lernen, was Sexismus im Alltag bedeutet und welchen Beitrag Männer zu dessen Überwindung leisten können. «Denn Fortschritt werden wir als Gesellschaft nicht erzielen, wenn Männer das Thema weiter negieren, delegieren oder relativieren, sondern nur, wenn wir gemeinsam mit den Frauen für Veränderung eintreten.»