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Michelle Bichsel (links) wollte immer Hebamme werden, aber nicht Mutter. © srf

«Als Frau fühlte ich mich entmündigt»

fs /  Eine 30-jährige Hebamme will sich sterilisieren lassen. Doch der legale Eingriff ist nur dank ihren beruflichen Kontakten möglich.

Für Michelle Bichsel wäre es «eine Katastrophe», schwanger zu werden, sagt sie im Dokumentarfilm «Kinderfrei – Frauen ohne Kinderwunsch» des öffentlich-rechtlichen Schweizer TV-Senders SRF. Sie habe nie einen Kinderwunsch gehabt.

«Kinderfrei glücklich»
Die Hebamme wollte sich unterbinden lassen, doch das erwies sich als schwierig. Im Internet fand sie die Empfehlung, dass kein verantwortungsvoller Mediziner Frauen unter 35 unterbinden sollte. Ihre Frauenärztin lehnte den Eingriff ab. Nur dank ihren beruflichen Kontakten sei der Eingriff möglich geworden, sagt Bichsel. «Als Frau, die sich sterilisieren lassen möchte, fühlte ich mich entmündigt.» Wenn sie eine künstliche Befruchtung machen wollte, würde man sagen, das sei ihre Entscheidung und ihre Verantwortung. «Aber wenn ich mich mit 30 Jahren unterbinden lassen will, sagt die Gesellschaft plötzlich, das sei etwas anderes.» Sie sei kinderfrei glücklich und zufrieden und werde die Verantwortung für ihren Entscheid tragen.

Bevormundung junger Frauen 
Dass man sie nicht ernst nahm und bevormundete, schockiert sie: «Ich finde es krass, dass man als Frau im 21. Jahrhundert frauengesundheitstechnisch jegliche Möglichkeiten hat. Du kannst fast alles machen lassen – aber eine Sterilisation geht gar nicht». Seit dem Eingriff werde sie oft gefragt, ob sie den Schritt nicht bereue, sagt Bichsel. Sie findet das seltsam. Eine Mutter frage man nie, ob sie ihre Kinder bereue. «Ich glaube, dass sich Leute, die Kinder bekommen, oft weniger Gedanken machen als Leute, die keine haben.» Sie habe immer Hebamme werden wollen, aber nicht Mutter. Sie habe sich nicht gegen etwas entschieden, sondern für etwas. «Ich habe mich für ein Leben ohne eigene Kinder entschieden.» 

«Jede Frau soll frei entscheiden können»
Der Film zeigt neben Bichsel zwei andere kinderfreie Frauen aus unterschiedlichen Generationen. Filmemacherin Antonia Meile sagte gegenüber der Online-Zeitung «zentralplus», dass alle drei Protagonistinnen des Films Gründe nannten, warum sie kinderfrei bleiben wollten. Dies liege daran, dass kinderfreie Frauen nicht der Norm entsprechen und sich deshalb gegen aussen rechtfertigen müssen. «Dabei liegt der eigentliche Ursprung meistens darin, dass der Wunsch nach Kindern bei ihnen einfach nicht existiert.» Ein kinderfreies Leben sei heute für Frauen eine reale Option und dies mache Frauen freier. «Frauen sollen nicht mehr stigmatisiert und verurteilt werden fürs Nichtmuttersein, genauso wenig wie fürs Muttersein. Jede Frau soll die individuelle, strukturelle, kulturelle und gesellschaftliche Freiheit bekommen, die Kinderfrage für sich zu entscheiden, ohne benachteiligt, behelligt oder bevormundet zu werden.»

Frauen ohne Kinderwunsch misstraut man
Wie Bichsel kritisieren auch andere junge Frauen öffentlich, dass man ihren Entscheid für eine Sterilisation nicht akzeptiert. Dabei ist das Recht auf ihrer Seite: Wer sich unterbinden lassen will, muss in der Schweizund in Deutschland mindestens 18 Jahre alt, urteilsfähig und umfassend informiert sein. Die Person muss dem Eingriff frei und schriftlich zustimmen. Trotzdem verweigern Ärztinnen und Ärzte jungen Frauen ohne Kinderwunsch eine Sterilisation oft jahrelang. Sie trauen diesen zwar zu, sich selbstbestimmt für ein Kind zu entscheiden. Aber beim Entscheid gegen Kinder misstrauen sie ihnen. 

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