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RTL-Reporterin Sophia Maier wird an einer Demonstration verbal frauenfeindlich attackiert. © rtl

Frauenhass: Das sind die Folgen für Betroffene

fs /  Frauenhass beeinträchtigt den Alltag von Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen. Betroffene kritisieren die Gleichgültigkeit der Gesellschaft.

Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, ist kürzlich nach einer Veranstaltung wüst beschimpft und verfolgt worden. Die Polizei musste einschreiten. Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden auch online heftig attackiert. Trotzdem heisst es oft, sie sollen anonyme Drohungen im Netz nicht ernst nehmen. Doch diese beeinflussen das Verhalten, wie Betroffene im RTL- Dokumentarfilm «Ich bring Dich um, Du Schlampe» schildern.

«Das muss endlich Konsequenzen haben»
Die junge RTL-Moderatorin Lola Weippert erhält seit Jahren Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. Männer würden beispielweise fantasieren, sie zu ermorden und danach zu vergewaltigen. Sie habe alles zur Anzeige gebracht, doch passiert sei nichts. «Das muss endlich Konsequenzen haben. Wir müssen laut sein, sonst ändert sich nichts», sagt die 27-Jährige. In der Öffentlichkeit sei sie mittlerweile immer wachsam. «Das war ich früher nie. Ich war immer sorglos.» 

«Ich verhalte mich in der Öffentlichkeit anders»
FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagt: «Ich merke, dass ich mich in der Öffentlichkeit anders verhalte». In Bahnhöfen stehe sie zum Beispiel nie mehr am Rand des Gleises. Sie achte darauf, dass hinter ihr ein Automat oder eine Wand sei. Grüne-Politikerin Renate Künast sagt, sie fahre spätnachts nicht mehr alleine U-Bahn. Im Restaurant sitze sie nie mit dem Rücken zum Gesamtraum. SP-Politikerin und Autorin Sawsan Chebli: «Ich gehe abends nicht mehr gerne alleine raus.» Sie schaue häufiger über die Schulter, wenn sie unterwegs sei. Und sie gehe nicht mehr mit aufgesetzten Kopfhörern durch die Stadt. 

Einzelpersonen und Netzwerke
Strack-Zimmermann vermutet hinter den Drohungen gegen sie «durchgeknallte», aber auch ganz normale Menschen. Laut Kristina Lunz gehen auch Netzwerke und Gruppen gezielt gegen Politikerinnen und feministische Organisationen und Aktivistinnen vor. Die 34-Jährige engagiert sich unter anderem für feministische Aussenpolitik. Linken-Politikerin Janine Wissler sagt, im Netz seien Leute aktiv, welche sich nicht trauen, sie von Angesicht zu Angesicht zu beschimpfen und zu bedrohen. Hinter den Drohungen gegen sie seien Rechte mit einem geschlossenen rechten Weltbild. Sie warnt: «Überall da, wo Rechte stark werden, sind Frauenrechte in Gefahr.»

«Frauenhass ist gesamtgesellschaftliches Problem»
Männer, die im Internet offen Frauenhass verbreiten, erreichen Hunderttausende. Tobias Ginsburg hat für ein Buch anderthalb Jahre Undercover unter Frauenhassern recherchiert. Er sagt, Frauenhasser fühlten sich stark, wenn sie Frauen Angst einjagen können. Frauenhass gebe es überall, auch bei ganz normalen Leuten. Ginsburg: «Frauenhass ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.»

Attacken im echten Leben
CSU-Politikerin Dorothee Bär wird auch in der Öffentlichkeit von Männern hasserfüllt angepöbelt. Sie meint, dass solche Männer zuerst Frauen im Netz bedrohen. Damit sinke ihre Hemmschwelle, Frauen auch in der Öffentlichkeit zu attackieren. Sawsan Chebli wurde in Berlin am helllichten Tag physisch angegriffen. Seither erhält die 45-Jährige Personenschutz. Sie sei eine Kämpferin. Doch die Drohungen machten sie müde und erschöpft. Es gebe auch Momente der Resignation. Sie verstehe, dass immer mehr Politikerinnen sich wegen des Hasses zurückhalten, sich zu bestimmten Themen nicht mehr äussern oder sich ganz aus der Politik zurückziehen. 

«Sprache verroht»
CSU-Politikerin Dorothee Bär sagt, die Sprache verrohe, auch im Parlament. Daran habe die rechte AFD grossen Anteil. Beispielsweise habe während der Rede einer jungen grünen Abgeordneten im Bundestag ein «AFD-Depp» rein gebrüllt, sie solle lieber tanzen, dann hätten alle etwas davon. Maximilian Krah, AFD-Spitzenkandidat für die Europawahl, schürte in einem Video offen eine frauenfeindliche Stimmung: «Der heutige Feminismus ist das Geschäft von dreissig Prozent grässlichen, hässlichen und letztlich frauenfeindlichen Weibern.» Am «AFD-Familienfest» in Dresden sagte Krah letzten Herbst im Interview mit RTL-Reporterin Sophia Maier, seine Beschreibung der Feministinnen sei «vollkommen korrekt» angesichts der «schrillen» Diskussion, welche «die andere Seite» führe. Nach dem Interview zog Krah auf X über Reporterin Maier her. Diese erhielt umgehend hunderte frauenfeindliche Hasstweets, die ihren Körper und ihr Aussehen herabwürdigten. «Spiegel»-Journalistin Ann-Katrin Müller sagt, Krah sei mit seinen frauenfeindlichen Aussagen kein Sonderfall in der AFD. Er stehe für das Zentrum der Partei, gebe als Spitzenkandidat für die Europawahl den Ton vor. 

«Keine Strategie gegen Frauenhass»
Beleidigungen und Drohungen können in Deutschland mit Geld- und Freiheitsstrafen bestraft werden. RTL-Reporterin Maier hat 32 Kommentare angezeigt wie «Hurenreporterin», «Tu jedem Deutschen einen Gefallen und häng Dich auf» oder «Du brauchst mal wieder einen Kerl, der Dich richtig durchnimmt.» Nach vier Monaten erfuhr Maier von der Polizei, dass nur drei Kommentare mit Geldstrafe belangt werden können. 
Feministin Kristina Lunz sagt: «Deutschland hat keine Strategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Das ist eine Schande. Wenn die männliche Hälfte der Gesellschaft täglich derart von Gewalt betroffen wäre, dann wäre das eine Top-Priorität.» SP-Politikerin Sawsan Chebli sagt, Deutschland müsse viel mehr tun, um Frauen zu schützen, die aktiv, laut und sichtbar sein wollen. Grüne-Politikerin Barbara Domke sagt, ihr Leben habe sich wegen Hassattacken komplett geändert. Sie kritisiert die Anonymität im Netz. Diese verhindere, dass man Leute zur Rechenschaft ziehen kann. CDU-Politikerin Julia Klöckner fordert mehr Zivilcourage im Netz. «Man ist nur stark, wenn man viele und laut ist.»

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