Verurteilter Vergewaltiger bleibt frei
In der Schweiz hat das Kreisgericht See-Gaster (SG) einen 28-jährigen Mann zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt, weil er eine knapp 16-Jährige vergewaltigt und weitere neun minderjährige Mädchen missbraucht hat. Der zehnfache Sextäter, der einige Übergriffe filmte und die Videos an Chat-Partner schickte, bleibt also auf freiem Fuss. Die Staatsanwaltschaft hatte vier Jahre Haft beantragt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Jeder Dritte muss nicht ins Gefängnis
Ein solches Urteil ist in der Schweiz keine Seltenheit, berichtet die «SonntagsZeitung». So muss jeder dritte verurteilte Vergewaltiger nicht ins Gefängnis, wie aus Zahlen des Bundesamtes für Statistik für letztes Jahr hervorgeht. 2015 wurden 82 Vergewaltiger rechtskräftig verurteilt. 26 dieser Verurteilten kamen mit einer bedingten Strafe davon. Fabrice A., ein Mehrfachvergewaltiger und Mörder, sagte kürzlich vor Gericht, die milde Strafe für sein erstes Sexualdelikt sei für ihn «fast ein Freipass zum Weitermachen» gewesen.
«Kavaliersdelikt» Vergewaltigung
Seit 2006 wurden in der Schweiz 1155 rechtskräftige Urteile wegen Vergewaltigungen gefällt. 327 Täter kamen mit einer bedingten Strafe davon. Carlo Häfeli von der Opferhilfeorganisation Weisser Ring spricht von einem «krassen» Missverhältnis in der Beurteilung von Straftaten: «Für Betrug gibt es sofort eine unbedingte Strafe von drei bis vier Jahren, für eine Vergewaltigung kommen die Täter oft nicht mal einen Tag hinter Gitter.» Tina Krüger von der Opferhilfe St. Gallen sagt, aufgrund dieser Strafpraxis bleibe sexuelle Gewalt in vielen Fällen ein «Kavaliersdelikt».
Tiefe Mindeststrafe
In der Schweiz sind bedingte Strafen möglich bei Freiheitsstrafen von maximal zwei Jahren. Die Mindeststrafe für Vergewaltigung beträgt nur ein Jahr. Laut dem Kriminologen Martin Killias gibt es europaweit kein anderes Land, wo man nach einer Verurteilung wegen einer Vergewaltigung so selten ins Gefängnis muss wie in der Schweiz.
Milde Urteile
Milde Urteile sorgen auch in anderen Ländern für Aufsehen. In den USA ist kürzlich ein Student, der eine bewusstlose Kommilitonin missbraucht hatte, nur zu sechs Monaten Gefängnis, davon drei unbedingt, verurteilt worden. Der Richter begründete das milde Urteil damit, dass der Täter durch die Ermittlungen und den Prozess genügend bestraft sei und er ihm nicht die Zukunft verbauen wolle. Kurz darauf wurde ein anderer Student, der zwei schlafende Studentinnen mit den Fingern penetriert hatte, zu einer bedingten Strafe von zwei Jahren verurteilt.
In Deutschland hat zuletzt das Urteil im Fall Gina-Lisa Lohfink für Aufsehen gesorgt. Die frühere Teilnehmerin an der Casting-Show «Germany’s Next Topmodel» hatte zwei Männer wegen Vergewaltigung angezeigt. Wegen fehlender Beweise wurden die beiden freigesprochen. Lohfink hingegen wurde kürzlich wegen Falschaussage zu einer Geldstrafe von 20’000 Euro (21’000 Franken) verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine