Schweiz: Fälle häuslicher Gewalt besser überprüfen

fs /  Verfahren wegen häuslicher Gewalt werden häufig zu früh eingestellt – und der Täter macht weiter. Das soll sich ändern.

In der Schweiz dürfen Staatsanwaltschaften Strafverfahren wegen häuslicher Gewalt sistieren und nach sechs Monaten definitiv einstellen, falls das Opfer nicht auf weiteren Ermittlungen besteht (Artikel 55a im StGB). Solche Verfahren würden deshalb oft zu früh eingestellt, kritisiert Ständerätin Karin Keller-Sutter (FDP). Staatsanwaltschaften könnten damit ihren Aufwand gering halten. Sie verlangt nun mit einer Motion, dass vor einer definitiven Einstellung des Strafverfahrens das Opfer zwingend noch einmal angehört werden muss.
Der Anteil eingestellter Verfahren wegen häuslicher Gewalt liegt beispielsweise im Kanton Bern bei 50 Prozent, sagte Christoph Scheurer von der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern gegenüber der «SonntagsZeitung». Thomas Hansjakob, Erster Staatsanwalt St. Gallen, spricht vom «Druck des Tagesgeschäftes». Da sei man immer froh, «wenn man die Fälle von häuslicher Gewalt, die oft eine unübersichtliche Beweislage haben, möglichst rasch sistieren und nach einem halben Jahr einstellen kann».
Andreas Brunner, Präsident der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz, verteidigt die heutige Praxis und spricht von der Selbstverantwortung der Opfer. Während der sechs Monate bis zur Einstellung eines Strafverfahrens sei es Sache des Opfers, seines Vertreters oder der Opferhilfeorganisation, sich aus eigenem Antrieb bei der Staatsanwaltschaft zu melden.
Opfer müssen angehört werden
Karin Keller-Sutter verlangt nun, Fälle häuslicher Gewalt besser zu überprüfen. Vor einer definitiven Einstellung des Strafverfahrens soll die Staatsanwaltschaft das Opfer zwingend noch einmal anhören und dessen Äusserungen im Rahmen eines allfälligen Einstellungsentscheids berücksichtigen müssen. Dieses Verfahren führe eher zu einer Bestrafung, wenn sich das Verhalten des Täters nicht geändert habe. Karin Keller-Sutter: «Es kann nicht angehen, dass die Strafverfolgungsbehörden erst dann aktiv werden, wenn die Gewalt wiederum eskaliert. Vielmehr muss es darum gehen, Gewaltsituationen, die jahrelang dauern können, entschlossen entgegen zu treten.»
Die Anlaufstellen für häusliche Gewalt unterstützen den Vorstoss von Karin Keller-Sutter. Damit könnte verhindert werden, dass sich Gewalt in der Familie über Jahre hinziehe, sagte Marie-Therese Elsener, Leiterin der Opferberatung Zug, in der «SonntagsZeitung»: «Manchmal beruhigt sich die Situation vorübergehend, weil der Polizeieinsatz einschüchtert. Oft geht die Gewalt aber weiter. Dann getrauen sich Opfer aber oft nicht, ein weiteres Mal die Polizei zu rufen.»


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