Einer der Männer versetzt Fabienne W. einen Faustschlag ins Gesicht. Die anderen schauen zu. © srf

Trotz Videobeweis: Frau als unglaubwürdig dargestellt

fs /  Vorurteile beeinflussen die mediale Berichterstattung über Gewalt an Frauen. Jetzt hat sich eine linke Zeitung dafür entschuldigt.

Videoaufnahmen einer Überwachungskamera in der Privatwohnung eines Anwaltes haben in der Schweiz die Öffentlichkeit aufgerüttelt. Zu sehen ist, wie an einem frühen Morgen Ende 2021 mehrere Männer auf Fabienne W. losgehen. Einer würgt sie, tritt ihr in den Bauch und schlägt ihr brutal ins Gesicht. Ein anderer Mann reisst die Frau an einem Bein hoch und schmettert sie kopfvoran auf den Boden. Sie schreit und weint. Ein Mann zerrt sie an einem Bein in ein anderes Zimmer, wo die Männer mit ihr verschwinden. Erst nach über sieben Minuten kommen alle zurück ins Wohnzimmer. Sie trägt nun Handschellen. Veröffentlicht hat das Video das öffentlich-rechtliche Fernsehen SRF. Der TV-Beitrag kritisiert die lückenhafte und schleppende Arbeit der Polizei. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, hat aber bisher keine Anklage gegen die mutmasslichen Täter erhoben.

Mitschuld des Opfers
Nach der Ausstrahlung des TV-Beitrags zweifelte unter anderen die linke Wochenzeitung «Schaffhauser AZ» die Glaubwürdigkeit des Opfers an. Co-Redaktionsleiter Marlon Rusch schrieb, die «Prügelorgie» in der Wohnung des Anwaltes sei das Resultat eines Rauschabends gewesen, der völlig ausser Kontrolle geriet. Auslöser sei Fabienne W. gewesen, die randaliert habe. Das Narrativ des TV-Beitrages sei deshalb «mehr als fragwürdig». Danach wurde Fabienne W. verprügelt, weil sie einen Bekannten des Anwaltes wegen mutmasslicher Vergewaltigung zwölf Tage vorher anzeigen wollte. Diesen Verdacht gegen den Anwalt habe Fabienne W. erst über ein Jahr später gegenüber der Staatsanwaltschaft geäussert, schrieb Rusch. Tonanalysen des Videos im Auftrag von Fabienne W. zeigen jedoch laut «20 Minuten», dass am Abend der Prügelattacke der Name des mutmasslichen Vergewaltigers mehrmals fiel. Dieser war in der Tatnacht selber nicht anwesend. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Rusch warf dem TV-Bericht zudem vor zu «suggerieren», dass Fabienne W. in der Wohnung des Anwaltes vergewaltigt wurde. Der TV-Beitrag kritisierte allerdings lediglich, dass Fabienne W. damals über Schmerzen an und zwischen den Beinen klagte und das forensische Institut sie nicht auf eine mögliche Vergewaltigung untersuchte. Die Behörden wiesen diesen Vorwurf später zurück. Fabienne W. sei eingeschlafen, was eine Untersuchung erschwert habe.

Entschuldigung für «Reihe von Fehlern»
Die Berichterstattung der AZ sorgte für heftige Kritik. Eine Woche später entschuldigte sich die Redaktion für «eine Reihe von Fehlern». Darin heisst es: «Wir haben im Bericht ein Bild des Opfers Fabienne W. erschaffen, das geeignet ist, die Gewalt zu relativieren, die ihr angetan wurde. Es ist uns wichtig, klarzustellen: Das Verhalten des Opfers ist irrelevant für den Fakt, dass die Männer ihr brutale Gewalt angetan haben.» Details in der Darstellung der Person von Fabienne W. hätten dazu geführt, «dass sie zusätzlich stigmatisiert wurde». Ein Fehler sei es gewesen, die mutmassliche Vergewaltigung zwölf Tage zuvor als «angeblich» zu bezeichnen. «Diese Formulierung hat Fabienne W. als unglaubwürdig dargestellt und vorverurteilt».

Frauenfeindliche Vorurteile in den Köpfen
Weiter schreibt die AZ-Redaktion, Co-Redaktionsleiter Marlon Rusch entschuldige sich für seine Aussage gegenüber dem alternativen «Radio Rasa», dass niemand zu hundert Prozent Opfer und niemand zu hundert Prozent Täter sei. Diese Aussage sei «unüberlegt und komplett falsch»: «Gerade, dass die Aussage spontan entstand und nicht überlegt war, ist ein Sinnbild dafür, dass in vielen Köpfen nach wie vor Bilder herumgeistern, die dort nicht hingehören.»
Auch andere Medien unterstellten dem spitalreif geschlagenen Opfer mindestens eine Mitschuld an den Prügeln. Dieses Narrativ wird Betroffenen bekannt vorkommen. Es sorgt dafür, dass viele keine Anzeige erstatten. Das Besondere in diesem Fall ist der Videobeweis. Doch nicht einmal diese schockierenden Bilder scheinen ausreichend, um die Schläge gegen eine Frau als das zu sehen, was sie sind: Eine Straftat, für die ausschliesslich die Täter verantwortlich sind.

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