Gewalt in Geburtshilfe verletzt Frauenrechte
Für die Spanierin Nahia Alkorta Elezgarai war die Geburt ihres ersten Kindes vor zehn Jahren eine traumatische Erfahrung. Ohne Erklärungen oder Informationen über Alternativen und ohne ihr Einverständnis leitete das Personal eines staatlichen Spitals bei ihr die Geburt ein, obwohl sie bereits Wehen hatte. Später machten die Ärzte ohne ihr Einverständnis einen Kaiserschnitt. Sie ignorierten den Hinweis einer Hebamme, dass der Geburtsprozess vorankomme. Alkorta Elezgarai sagte der Nachrichtenagentur AFP, sie habe sich damals hilflos und ausgeliefert gefühlt. Nach der Geburt durfte sie das Baby während seinen ersten Stunden nicht halten. Später diagnostizierte ein Arzt bei Alkorta Elezgarai eine posttraumatische Störung.
Spanische Justiz gab Ärzten recht
Ihre Klage gegen das Spital wiesen spanische Gerichte mit der Begründung ab, dass Ärzte über einen Kaiserschnitt allein entscheiden dürfen und die psychischen Schäden nur eine Frage der Wahrnehmung seien. Darauf gelangte Alkorta Elezgarai an das Uno-Komitee zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau. Dieses überwacht die Einhaltung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), das Spanien unterzeichnet und in Kraft gesetzt hat. Dem Komitee gehören 23 unabhängige Expertinnen und Experten für Menschenrechte an.
Frauen werden nicht ernst genommen
Spanien argumentierte gegenüber dem Komitee, dass es keine «à la carte Geburten» gebe und die Ärzte keine Fehler gemacht hätten. Alkorta Elezgarai sagt, sie habe keine à la carte Behandlung verlangt, sondern eine humane. «Ich habe nichts gegen gerechtfertigte Eingriffe, diese retten viele Leben. Aber sie sollten immer im Einverständnis und mit Respekt erfolgen.» Ihre Anwältin Francisca Fernández Guillén sagte der AFP, dass Gewalt in der Geburtshilfe immer noch geleugnet und nicht ernst genommen werde. Sogar Verwandte würden betroffenen Frauen einfach raten zu vergessen, was sie erlebt haben.
Gewalt in Geburtshilfe ist «sehr verbreitet»
Das Uno-Komitee hat nun Alkorta Elezgarai recht gegeben. Eine Geburtseinleitung und ein Kaiserschnitt ohne Zustimmung sei geburtshilfliche Gewalt. Alkorta Elezgarai sei während des gesamten juristischen Verfahrens in Spanien mit Geschlechterklischees und Diskriminierung konfrontiert gewesen. «Wenn die Ärzte und Krankenschwestern alle geltenden Standards und Vorschriften befolgt hätten, wäre eine natürliche Geburt möglich gewesen, ohne all diese Behandlungen, die sie körperlich und seelisch traumatisiert haben», sagte Komitee-Mitglied Hiroko Akizuki. Gewalt in der Geburtshilfe sei ein strukturelles und «sehr verbreitetes» Phänomen. Das Komitee forderte Spanien «dringend» auf, eine angemessene Wiedergutmachung für den körperlichen und seelischen Schaden von Alkorta Elezgarai zu leisten.
Informations- und Zustimmungspflicht
Spanien muss laut dem Komitee dafür sorgen, dass Frauen in jeder Phase der Geburt über die Behandlung vollständig informiert werden und sie jeder invasiven Behandlung während der Geburt vorher zustimmen müssen. «Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, alle geeigneten Massnahmen zu ergreifen, um nicht nur bestehende Gesetze und Vorschriften, sondern auch Bräuche und Praktiken, die geburtshilfliche Gewalt darstellen, zu ändern oder abzuschaffen», sagte Hiroko Akizuki. Zudem brauche es spezielle Schulungen für Justiz- und Strafverfolgungsbeamte. Und die Rechte von Frauen müssen Teil der Berufsausbildung werden.
Gewalt wird geleugnet, statt gestoppt
Das Uno-Komitee anerkannte erstmals vor zwei Jahren, dass Gewalt in der Geburtshilfe Frauenrechte verletzt. Es forderte die Behörden auf, Strukturen zu ändern, um diese Form der Gewalt zu beseitigen. Damals ging es ebenfalls um einen Fall aus Spanien. Doch Gewalt in der Geburtshilfe gibt es auch in anderen Ländern. Sie ist ein Tabu, weil sich Betroffene aus unterschiedlichen Gründen nicht wehren wollen. «Man redet nicht darüber wegen des Schmerzes, den das hervorruft, wegen der Scham und weil es die Vorstellung gibt, dass das nun mal so ist», sagte Alkorta Elezgarai der AFP. Seit dem Urteil hätten sich über hundert Frauen bei ihr gemeldet, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Statistiken für Spanien oder andere Länder gibt es nicht. Es handle sich jedoch nicht um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Problem, sagt Anwältin Francisca Fernández Guillén: «Das Schweigen war das erste, was gebrochen werden musste, und wir haben es geschafft.» Doch ein Grossteil des medizinischen Personals leugne die Existenz von Gewalt in der Geburtshilfe nach wie vor, anstatt sie anzuerkennen und zu stoppen.