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Ex-Prostituierte Sandra: «Prostitution ist keine Arbeit. Ich will, dass die Leute das verstehen.» © stuttgart-sagt-stopp.de

Prostituierte kann man nicht mit Verkäuferin vergleichen (3)

fs /  Die gesundheitlichen Folgen von Prostitution will niemand erforschen. Das Ergebnis wäre zu schmerzhaft, sagt ein Psychiater.

Freiwillige Prostitution gilt in Deutschland und der Schweiz als Job wie jeder andere. Wenn man Prostituierten zuhört, tönt dies anders. Die Journalistin Aline Wüst hat zwei Jahre lang in Bordellen und auf dem Strich recherchiert und hörte erschütternde Berichte. Ihr Fazit aus den vielen Gesprächen mit Prostituierten: Es gibt kaum Prostitution ohne Zwang (1. Teil). Fachleute von Polizei und Opferhilfe sagten Wüst, dass man in der Realität freiwillige nicht von unfreiwilliger Prostitution trennen kann (2. Teil).

Eine Verkäuferin im Supermarkt arbeitet wie eine Prostituierte für Geld und nicht aus Freude, heisst es oft. Diesen Vergleich könne man nicht machen, weil man nicht wisse, welche gesundheitlichen Folgen Prostitution hat, sagt der Berner Psychiater Jan Gysi im Buch «Piff, Paff, Puff» über Prostitution in der Schweiz. Er ist spezialisiert auf Traumata und sexualisierte Gewalt. Gysi: «Vergleichen wir doch in einer Studie den Gesundheitszustand von Prostituierten und Migros-Verkäuferinnen. Ich glaube, wir würden rasch feststellen, dass sich das nicht vergleichen lässt. Doch gewisse Wahrheiten sind zu schmerzhaft, um sie aufzudecken. Es würde bedeuten, dass wir als Gesellschaft etwas ändern müssen.»

Psychische Folgen
Doch uns interessiere nicht, wie es Prostituierten gesundheitlich geht, sagt Gysi: «Wir holen osteuropäische Frauen und nutzen sie für die Befriedigung von Schweizer Männern. Wenn sie zu krank sind, um weiterzuarbeiten, können sie in ihre Heimat zurück.» Gysi geht davon aus, dass sie dann unter psychischen Störungen leiden wie Depressionen, extremer Reizbarkeit, Schuldgefühlen, Scham, Nähe-Distanz-Problemen und ständig wiederkehrenden Bildern. «Es gibt Frauen, die sagen, dass sie den Geschmack von Sperma im Mund haben, das Gefühl eines Penis in sich, Hände auf der Haut spüren. Obwohl sie wissen, dass da weder Sperma, Penis noch Hand ist.»

Spaltung der Persönlichkeit
Bulgarin Sara erzählte Buchautorin Aline Wüst: «Ich fand heraus, dass ich im Zimmer eine andere Person bin als draussen in der Lounge.» Mit dieser Spaltung der Persönlichkeit kann ein Mensch das unmittelbare Geschehen von seinem Empfinden abspalten. Diese «Dissoziation» sei eine Überlebensstrategie, um die Psyche zu schützen, sagt Gysi. Italienerin Rosanna erzählte Wüst, dass sie als Prostituierte Giulia war: «Als ich anfing, war Rosanna noch im Vordergrund. Sie ging einkaufen und machte auch sonst alles ausserhalb des Studios. Aber nach vier oder fünf Monaten nahm Giulia überhand. Wenn sie arbeitete, unterdrückte sie Rosanna, um sie vor Verletzungen zu schützen. Rosanna wurde hinter eine innerliche Mauer gesperrt.» Dies nage an der Seele. «Deshalb trinken viele Frauen oder nehmen Drogen. Es hilft, das wahre Ich zu ertränken. Damit es keine Chance hat, an die Oberfläche zu kommen.»

«Prostitution ist keine Arbeit»
Die 57-jährige Zora prostituierte sich während zehn Jahren. Die Schweizerin sagt, Prostitution könne man nicht mit Verkauf vergleichen: «Geschlechtsverkehr ist nicht nichts. Das ist richtig intim. In der Prostitution wird Intimität zum Beruf.» In ihrem heutigen Büro-Job wisse sie, wie sie mit Problemsituationen umgehen muss. «Als Prostituierte wusste ich nie, was mit meinen Gefühlen passiert. Das ist eine andere Ebene.»
Sandra aus Kamerun schaffte den Ausstieg und arbeitet heute als Putzfrau. Sie sagt: «Ich bin nicht auf dieser Welt, um Prostituierte zu sein.» Sie frage sich, weshalb die Schweizer Regierung die Ausbeutung der Prostituierten erlaube: «Prostitution ist keine Arbeit. Ich will, dass die Leute das verstehen.»
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Aline Wüst, Piff, Paff, Puff. Prostitution in der Schweiz, Echtzeit-Verlag, CH-Basel 2020, EAN 9783906807171, ISBN 978-3-906807-17-1, CHF 30.– / EUR 26.–.
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