Abtreibung soll Straftat bleiben
Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland im Strafrecht geregelt. Er ist in den ersten drei Monaten eine Straftat, bleibt aber straffrei. Voraussetzung dafür ist eine Beratung. Im Rahmen der Studie «Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung» (ELSA) hat ein Forschungsteam erstmals Betroffene befragt, welche Folgen diese Kriminalisierung für sie hat. In Auftrag gegeben hatte die Studie die frühere Regierung von Union und SPD. Der Gesamtbericht mit allen Ergebnissen und Handlungsempfehlungen soll im Herbst vorliegen.
Zwei Befragungen
An einer repräsentativen Online-Befragung nahmen 4600 Frauen teil, die mindestens ein Kind unter sechs Jahren haben. Diese Frauen berichteten von insgesamt gut 11‘000 gewollt oder ungewollt ausgetragenen und von abgebrochenen Schwangerschaften. Zusätzlich befragte das Forschungsteam von fünf Hochschulen und einem Forschungsinstitut über 600 Frauen, die eine Schwangerschaft abgebrochen haben. Es fand diese Frauen über medizinische und soziale Einrichtungen und Social Media.
Kriminalisierung belastet Betroffene
Aus der Befragung derjenigen Frauen, die eine Schwangerschaft abgebrochen haben, geht hervor, welche konkreten Folgen die Kriminalisierung für sie hatte:
- Für eine Mehrheit war es schwierig, ausreichende Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen zu finden.
- Fast jede Dritte gab an, dass sie die bevorzugte Methode für den Abbruch nicht wählen konnte.
- Die regionalen Unterschiede sind gross. In Regionen mit geringerem Versorgungsgrad berichteten Frauen über mehr Barrieren wie weitere Wege zu den Praxen und höhere Kosten für den Abbruch, die Anreise oder die Kinderbetreuung.
- Eine von zehn dieser Frauen gab an, dass sie im Internet Medikamente für den Abbruch besorgte oder einen telemedizinisch betreuten medikamentösen Schwangerschaftsabbruch durchführte.
- Fast die Hälfte der Frauen wollte oder musste den Abbruch aus Angst vor Stigmatisierung geheim halten.
- Gut jede Vierte berichtete von negativen Reaktionen durch das medizinische Personal oder nahestehende Personen.
«Alle Frauen fühlten sich schuldig»
Alle Befragten, die sich für einen Abbruch entschieden, übernahmen die Verantwortung für die ungewollte Schwangerschaft. Sie seien schuld, dass bei ihnen die Verhütung versagt hat. «Diese Verantwortung wird ihnen gesellschaftlich zugeschrieben – und sie nehmen sie an», sagte Studienleiterin Daphne Hahn in der «Tageszeitung». Die Gesundheitswissenschaftlerin von der Hochschule Fulda fordert, Männer stärker in die Verantwortung zu nehmen. Und die Stigmatisierung von ungewollt Schwangeren, Ärztinnen und Ärzten zu beenden. «Es braucht eine gesellschaftliche Haltung, die Abbrüche als medizinische Grundversorgung anerkennt.»
Widerstand in der Politik
In Deutschland empfiehlt die Expertinnen-Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung der Bundesregierung, Abbrüche mindestens in den ersten drei Monaten zu entkriminalisieren. Doch sie stiess damit auf taube Ohren. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte vor «Polarisierung». Die grüne Frauenministerin Lisa Paus sagte laut der «Tageszeitung», das Thema sei «komplex» und «emotional». Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) sprach von einem gesellschaftlichen «Grosskonflikt».
In der Schweiz hat es das konservative Parlament letztes Jahr abgelehnt, den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch zu streichen und damit zu entkriminalisieren. Anfang dieses Jahres hat das Parlament die Regierung beauftragt, die geltende Regelung zum Schwangerschaftsabbruch zu evaluieren.
In Europa haben mehrere Länder den Schwangerschaftsabbruch entkriminalisiert und ausserhalb des Strafrechts geregelt. Dazu gehören Frankreich und Belgien. Frankreich hat das Recht darauf kürzlich in der Verfassung verankert und damit zum Grundrecht gemacht.
Kanada hat bereits 1988 alle Einschränkungen gestrichen. Eine Abtreibung gilt seither als medizinische Versorgung und nicht mehr als Straftat.