Boateng-Prozess: Berichterstattung aus Tätersicht
Jérôme Boateng, langjähriger Verteidiger von Bayern München, stand im Sommer zum wiederholten Mal vor Gericht, weil ihm eine Frau Gewalt vorwirft. Klägerin ist seine Ex-Verlobte Sherin Senler, die mit Boateng Zwillingsmädchen hat. Die Gewalttat ist mit Videos und Zeugenaussagen gut dokumentiert. Die Richterin des Landgerichts München musste ihn also schuldig sprechen. Sie verurteilte ihn wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Er soll insgesamt 100’000 Euro an zwei gemeinnützige Einrichtungen für Kinder zahlen. Und sie verwarnte ihn: wenn er die 100’000 Euro nicht an die Kindereinrichtungen zahlt und in einer bestimmten Frist wieder straffällig werde, muss er eine höhere Geldstrafe zahlen.
«Verwarnt» statt «verurteilt»
Fast alle Medien titelten verharmlosend, Boateng sei «verwarnt» worden oder habe wie im Fussball die «gelbe Karte» erhalten. «Verwarnung» und «Gelbe Karte» tönen wesentlich harmloser als eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung, erklärte die freie Investigativjounalistin Maike Backhaus spiegel.de. Die Berichterstattung über das Urteil sei ein grosser Erfolg für das PR-Team von Boateng. Er habe für den Prozess PR-Berater Thomas Knipp engagiert. Dieser ist beim Thema Gewalt gegen Frauen kein Unbekannter: Er kümmerte sich letztes Jahr um die Imagepflege von Rammstein-Sänger Til Lindemann. Frauen hatten Lindemann Gewalt und Missbrauch vorgeworfen.
PR für Täter
Knipp habe während des Prozesses auf Journalisten eingeredet, ohne sich ihnen gegenüber als PR-Berater von Boateng vorzustellen, sagte Backhaus. Einige hätten ihn sogar für einen Pressesprecher des Gerichts gehalten. Diese Intransparenz habe die Berichterstattung im Sinne von Boateng beeinflusst. Die Argumentation seiner Verteidigung, der Schlag sei unabsichtlich erfolgt, infolge einer «Rangelei» in einer «toxischen» Beziehung, kam dank des PR-Teams in die Medien. Beide Begriffe legen nahe, dass die Frau eine Mitschuld trägt. Doch die Sachverständigen des Gerichtes konnten nur Boateng Gewalt eindeutig nachweisen.
Medien ignorieren Opfersicht
Die Aussage der Anwältin, dass Boateng vor dem Prozess ihre Klientin massiv eingeschüchtert habe, ignorierten das Gericht und die meisten Medien. Das milde Urteil sei für Opfer häuslicher Gewalt abschreckend, sagte Backhaus. «Unterm Strich ist die Aussage: Gewalt hat stattgefunden, Boateng hat die Mutter seiner Kinder geschlagen – aber das Gericht findet es nicht so schlimm. Das ist verheerend.»
Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Sie hatte eine Geldstrafe von 1,12 Millionen Euro gefordert. Das Urteil ist damit noch nicht rechtskräftig.