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Gleichstellung ist Anliegen einer Minderheit, suggeriert «Der Bund». © Tamedi

Irreführende Schlagzeilen vor dem Frauenstreik

fs /  Vor dem Frauenstreik diskreditieren Tamedia-Zeitungen mit oberflächlichen Umfragen und irreführender Berichterstattung Gleichstellungsanliegen.

Gleichstellungsmassnahmen als Anliegen einer Minderheit abzutun, ist eine alte Taktik, um sie nicht ernst nehmen zu müssen. «Der Bund», der zum Tamedia-Konzern gehört, titelte: «Mehrheit lehnt Frauenförderung am Arbeitsplatz ab». Nicht nur Männer würden Frauenförderung kritisch sehen, sondern auch Frauen. 

Irreführende Berichterstattung
Für diese Behauptung stützten sich «Der Bund» und andere Tamedia-Zeitungen auf eine Umfrage des Forschungsinstituts LeeWas im Auftrag von Tamedia. LeeWas fragte lediglich nach Frauenquoten, der Bevorzugung von Frauen bei gleicher Qualifikation und der gezielten Suche nach Frauen für Kaderpositionen. Andere Fördermassnahmen wie Teilzeitarbeit auch für Führungspositionen oder familienfreundliche Sitzungstermine wurden nicht abgefragt. Die Behauptung, Frauen und Männer würden «Frauenförderung» ablehnen, ist deshalb mehr als gewagt. 
Die Frage nach der Frauenförderung war Teil einer grösseren Umfrage zum Sprachgebrauch, der Gleichstellung der Geschlechter und der Debattenkultur in der Schweiz. Es handelt sich um eine repräsentative, «modellierte» Online-Umfrage. Teilgenommen haben gut 30’000 Personen aus der ganzen Schweiz, darunter über 8000 aus der Romandie und dem Tessin. 

Antworten hängen von Fragen ab
Wie die Quote ist geschlechtergerechte Sprache ein hoch emotionales Thema, das für Klicks und Aufmerksamkeit sorgt. Schweizerinnen und Schweizer würden geschlechtergerechte Sprache ablehnen, behauptete der «Tages-Anzeiger» aufgrund der LeeWas-Umfrage. In der Umfrage wurde hauptsächlich nach der Einstellung zu gerechter Sprache in der Öffentlichkeit, der Arbeitswelt und im Alltag gefragt. Zum Beispiel: «Achten Sie beim Formulieren von Texten und beim Sprechen auf eine gendergerechte Sprache?» oder «Wie stehen Sie zum Einsatz von gendergerechter Sprache in der Arbeitswelt?».
Das Ergebnis wäre wohl anders ausgefallen, wenn man anhand konkreter Beispiele gefragt hätte, sagte Martin Luginbühl, Sprachwissenschaftler von der Universität Basel. «Dann wären die gendergerechten Formulierungen vielleicht gar nicht als auffällig erkannt und genannt worden.» Beispiel: «Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer» statt nur «liebe Zuhörer».
Bei der konkreten Frage nach den eigenen Vorlieben beim Schreiben und Sprechen gaben jedenfalls nur 23 Prozent aller Befragten an, dass sie die männliche Form bevorzugen, die Frauen mit meint. Der Untertitel zum Artikel lautete jedoch nicht: «Abgelehnt wird das generische Maskulinum», sondern «Abgelehnt wird das Gendern».

«Frauen sind glücklich zu Hause»
Studentinnen wollen keine Karriere machen, behauptete Anfang Mai die «SonntagsZeitung». Die Frauen seien glücklich, wenn sie zu Hause für Kinder und Mann sorgen können. Die Zeitung stützte sich auf eine damals noch unveröffentlichte Studie der Universität Zürich. Die Forscherinnen hatten 10’000 Studentinnen und Studenten befragt. Die Schlagzeile «Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selber Karriere machen» sorgte für den – vermutlich erhofften – medialen Wirbel. «Viele Kommentatoren und Kommentatorinnen – auch der NZZ – fühlten sich in ihrer lang gehegten Überzeugung bestätigt, dass Gleichstellungsmassnahmen nutzlos seien, da die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen an mangelndem Ehrgeiz und ihrer Familienorientierung liege», schrieb Dagmar Iber in einem Gastkommentar für die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ). Die Professorin für rechnergestützte Biologie ist Präsidentin der Hochschulversammlung der ETH Zürich, einem Organ von gewählten Vertreterinnen und Vertretern aller Angestellten. Erst auf grossen Druck hin hätten die Forscherinnen das Manuskript veröffentlicht, allerdings ohne Fragebogen. Laut Iber geht die «reisserische» und «irreführende» Berichterstattung nicht aus den Studiendaten hervor. 

Vor dem nächsten Frauenstreik
Der letzte Frauenstreik vom Juni 2019 gilt als grösste politische Demonstration in der Schweiz. Ein paar Monate später wurden so viele Frauen ins nationale Parlament gewählt wie nie zuvor. Im Vorfeld des kommenden Streiks am 14. Juni gab es in den Medien kaum eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Forderungen wie Lohngleichheit, existenzsichernde Renten und familienkompatible Arbeitszeiten. Stattdessen zementieren sie mit reisserischen und irreführenden Schlagzeilen traditionelle Geschlechterklischees und die damit einhergehende Zweitrangigkeit von Frauen. 

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